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Einblicke in die Citizen-Science-Forschung #1: Mückenatlas, Umweltjournalismus und Motivation

29. März 2021 von Lena Puttfarcken

Was hat das Citizen-Science-Projekt „Mückenatlas“ für die Stechmücken-Überwachung in Deutschland geleistet? Nach welchen Kriterien bewerten Bürger*innen die Qualität von umweltjournalistischen Beiträgen? Und welche Faktoren motivieren Menschen, an Citizen-Science-Projekten teilzunehmen? In diesem Rückblick stellen wir eine subjektive Auswahl an Studien vor, die in den vergangenen Monaten erschienen sind und sich mit Citizen Science beschäftigen.



Der Mückenatlas als Teil der wissenschaftlichen Stechmücken-Überwachung

In Europa verbreiten sich immer mehr invasive Stechmückenarten wie die Asiatische Tigermücke, die gefährliche Krankheiten übertragen können. Deshalb wird die Stechmückenpopulation in Deutschland überwacht, unter anderem mithilfe des Citizen-Science-Projektes „Mückenatlas“, das seit 2012 existiert. Bürger*innen schicken per Post Stechmücken an die Forschenden, die sie systematisch erfassen. Bis Juni 2020 haben über 25.000 Menschen teilgenommen und etwa 138.000 Stechmücken eingesandt. Was das Projekt für die Populationsüberwachung leistet, haben Nadja Pernat vom ​​​​Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung und ihre Kolleg*innen analysiert.

Methode: Die Forscher*innen vergleichen das Citizen-Science-Projekt „Mückenatlas“ mit systematischer Stechmücken-Überwachung. Sie wollen herausfinden, welche Lebensräume die beiden Methoden abdecken, welche Arten sie erfassen und ob insbesondere invasive Arten entdeckt werden. Während die Citizen Scientists selbständig Stechmücken einfangen und an das Projekt schicken, werden bei der systematischen Überwachung gezielt Fallen mit Lockstoffen platziert. Diese Fallen decken eine Landschaft ab, die möglichst repräsentativ für die deutsche Landschaftsstruktur ist. 

Ergebnisse: Fast zwei Drittel der „Mückenatlas“-Mücken wurden in menschennahen Lebensräumen wie städtischen Gebieten oder Sportplätzen gefangen. Das unterscheidet sich von der Auswahl der Fallenstellen, die deutlich unterschiedlicher und ländlicher geprägt ist. Im „Mückenatlas“ wurden 36 unterschiedliche Arten erfasst, in der systematischen Überwachung 38. 72 Prozent der Arten wurden durch beide Methoden entdeckt – die anderen jeweils nur in einem der beiden Projekte. Zusammen haben die beiden Ansätze alle 52 Stechmückenarten gefunden, die in Deutschland derzeit vorkommen. Beide Überwachungsmethoden entdeckten invasive Arten wie die Asiatische Tigermücke, allerdings wurden im „Mückenatlas“ zeitlich früher mehr Sichtungen der Art erfasst.

Schlussfolgerungen: Im „Mückenatlas“ sind Funde an über 11.000 Orten erfasst, viele davon auf Privatgeländen, die von Forschenden nicht so einfach zu erreichen wären. Aus der Sicht der Studienautor*innen ist das ein großer Vorteil des Citizen-Science-Ansatzes. Zudem senden die Freiwilligen das ganze Jahr über Mücken ein, die Fallen für die systematische Überwachung werden nur von April bis Oktober aufgestellt. Zwar kann Citizen Science allein nicht die deutsche Mückenpopulation überwachen, der „Mückenatlas“ ist für die Forschenden aber eine wichtige Ergänzung der systematischen Überwachung.

Einschränkungen: Viele Stechmücken im „Mückenatlas“ wurden in städtischen Gebieten gefunden. Die Autor*innen vermuten, dass das daran liegt, dass die Freiwilligen die Stechmücken in ihrem Alltag sammeln. Deshalb sind die Funde nicht repräsentativ dafür, wie sich die Mückenarten tatsächlich verteilen. Hinzu kommt, dass die Citizen Scientists eher nach invasiven Arten und außergewöhnlichen Mücken suchen, und dadurch diese auch eher einsenden. Das verzerrt die Ergebnisse des „Mückenatlas“ ebenfalls.

Zielgruppe: Die Studie ist interessant für Forschende, die sich mit Citizen Science beschäftigen und beispielsweise Projekte vergleichen, die mit oder ohne Hilfe durch Citizen Scientists arbeiten. Gerade der Vergleich der beiden Methoden ist für die Wissenschaft spannend. Zudem könnte die Studie auch Teilnehmende an „Mückenatlas“ interessieren, die erfahren möchten, welche Ergebnisse das Projekt liefert und welchen Mehrwert Citizen Science für Forschung haben kann.

Pernat, N.; Kampen, H.; Jeschke, J.M.; Werner, D. (2020): Citizen science versus professional data collection: Comparison of approaches to mosquito monitoring in Germany, Journal of Applied Ecology, https://doi.org/10.1111/1365-2664.13767 

 

Citizen-Science-Kriterien für guten Umweltjournalismus

Durch die Informationsflut in den sozialen Medien wird es für Nutzer*innen immer schwieriger, vertrauenswürdige Medienangebote herauszufiltern – was gerade bei Wissenschaftsthemen eigentlich wichtig wäre. Hierfür ist ein stärkeres Verständnis von Wissenschaft und Medien wichtig. Um das zu befördern, haben Wiebke Rögener und Holger Wormer von der TU Dortmund gemeinsam mit Bürger*innen Qualitätskriterien für guten Umweltjournalismus erarbeitet. So wollten sie vermitteln, was gute Berichterstattung ausmacht. Außerdem wollten sie die Perspektive der Rezipient*innen miteinbeziehen, um Qualitätskriterien aufzustellen, die ganz praktisch und nicht nur aus Forschungssicht auf Umweltjournalismus anwendbar sind.

Methode: Die Forschenden arbeiteten für ihr Projekt mit dem lokalen Netzwerk „Münster nachhaltig“ zusammen. Dadurch kamen sie mit 22 umweltinteressierten Bürger*innen in Kontakt, die für die Forschenden spontan Qualitätskriterien für guten Umweltjournalismus formulierten. Da Journalismus auch ein junges Publikum erreichen möchte, bezogen die Forschenden zudem Schüler*innen mit ein, die den Leistungskurs Erdkunde der 11. Klasse eines Gymnasiums in Münster besuchten. Auch sie sollten spontan Qualitätskriterien auflisten. Über das Netzwerk fanden die Forschenden zehn Bürger*innen, die diese Kriteriensammlung in mehreren Gruppendiskussionen zu einem Katalog weiterentwickelten. In der letzten Phase prüften 14 Citizen Scientists den Kriterienkatalog anhand von Beispielbeiträgen. Sechs von ihnen hatten bereits am Katalog mitgewirkt, auch einige Schüler*innen waren unter ihnen.

Ergebnisse: Der sortierte Kriterienkatalog aus den Gruppendiskussionen umfasst Punkte zu insgesamt sechs Kategorien. Diese sind:

  • Faktentreue und Recherchequalität
  • Lösungsorientierung
  • Unabhängigkeit und Transparenz
  • einen Bezug zu Rezipierenden herzustellen
  • Themenauswahl 
  • und Zukunftsorientierung.

Die Bürger*innen wünschten sich außerdem, dass die Beiträge möglichst verständlich und attraktiv gestaltet seien. Auch eine gute Strukturierung und Humor waren ihnen wichtig. Nachdem sie den Katalog grob gegliedert hatten, sprachen die Citizen Scientists über die einzelnen Punkte und vertieften sie. So arbeiteten sie beispielsweise heraus, dass Faktentreue nicht nur umfassen sollte, dass alle Fakten korrekt wiedergegeben werden. Sie wünschten sich auch eine Einordnung dieser Fakten.

Schlussfolgerungen: Bisher spielte die Perspektive von Bürger*innen keine große Rolle bei der Bewertung von journalistischer Berichterstattung. Qualitätskriterien wurden eher in der Forschung erarbeitet. Den Studienautor*innen zufolge glauben viele Forschende, dass Bürger*innen kaum in der Lage seien, ohne Vorgaben solche Kriterien zu entwickeln. Die Citizen Scientists in diesem Forschungsprojekt schafften das aber spontan und eigenständig. Deshalb folgern die Studienautor*innen, dass ein partizipativer Citizen-Science-Ansatz doch funktionieren kann, um publikumsnahe Qualitätskriterien zu entwickeln.

Einschränkungen: Der Kriterienkatalog wurde von 14 Citizen Scientists auf 15 Beiträge aus Journalismus und PR angewandt, und zwar auf Print- und Onlinetexte sowie einen Radiobeitrag. Deshalb ist den Autor*innen zufolge noch offen, ob sich die Kriterien auch auf andere Mediengattungen anwenden lassen. Zudem ist die Methode nicht abgeschlossen ausgearbeitet, sondern eher als Ausgangspunkt zu verstehen, um weitere Citizen-Science-Projekte in der Rezipierendenforschung zu unternehmen. 

Zielgruppe: Das Paper ist vor allem für Wissenschaftler*innen in der Rezeptions- und Journalismusforschung interessant. Es zeigt einen Ansatz, wie Qualitätskriterien aus Publikumssicht entwickelt werden können, und wie Bürger*innen partizipativ in so ein Projekt mit einbezogen werden können.

Rögener, W.; Wormer, H. (2020): Gute Umweltkommunikation aus Bürgersicht. Ein Citizen-Science-Ansatz in der Rezipierendenforschung zur Entwicklung von Qualitätskriterien, M&K Medien & Kommunikationswissenschaft, https://doi.org/10.5771/1615-634X-2020-4-447 

 

Diese Faktoren beeinflussen die Teilnahme an Citizen-Science-Projekten

Citizen-Science-Projekte leben von ihren Teilnehmenden – ohne Freiwillige sind sie selbstverständlich nicht möglich. Wie gelingt es, noch mehr Bürger*innen für die Projekte zu gewinnen? Studien zufolge sind Teilnehmende auffällig häufig mittleren Alters. Deshalb untersuchen Wan Kam und Muki Haklay vom University College London sowie Julia Lorke vom Natural History Museum/Wissenschaft im Dialog, was speziell diese Gruppe motiviert, an Citizen-Science-Projekten teilzunehmen, und was sie eher abschreckt.

Methode: Die Forschenden führten qualitative strukturierte Interviews mit Museumsbesucher*innen im im Natural History Museum und dem Grant Museum of Zoology in London. Insgesamt nahmen daran 32 Personen teil. Anschließend führten sie in telefonische semistrukturierte Interviews mit 15 Personen, um Erkenntnisse aus den ersten Interviews zu vertiefen. Da die Forschenden vor allem die Beweggründe von mittelalten Menschen untersuchen wollten, beschränkten sie sich auf Personen zwischen 40 und 60 Jahren. Jede*r Teilnehmer*in nahm nur an einer der beiden Befragungen teil, nicht an beiden.

Ergebnisse: In den Interviews stellte sich heraus, dass vielen Teilnehmer*innen nicht klar war, was unter Citizen Science zu verstehen ist. So hatten 15 Personen zwar schon an Citizen-Science-Projekten teilgenommen. Trotzdem antworteten sie mit Nein auf die Frage, ob sie außer Museumsbesuche schon andere wissenschaftsbezogene Aktivitäten unternommen hätten. Genügend Zeit und finanzielle Ressourcen war den Befragten für eine Teilnahme wichtig, wie auch der Ort, an dem das Citizen-Science-Projekt stattfinden würde. Ein wichtiger Faktor für die Teilnahme war Neugier, eng verknüpft mit dem grundsätzlichen Interesse an Wissenschaftsthemen. Auch Geduld würde häufig als Faktor genannt, um sich für eine Teilnahme an einem Projekt zu motivieren.

Schlussfolgerungen: Ein mögliches Hindernis, an Citizen-Science-Projekten teilzunehmen, ist den Autor*innen zufolge, dass viele Menschen keine oder falsche Vorstellungen von Citizen Science haben. Sie schlagen vor hier anzusetzen, um mehr Menschen für die Projekte zu begeistern. Zwar sagten die Interviewten, dass es keine größeren Hürden oder Anforderungen gebe, die sie von einer Teilnahme abschrecke. Aber das führte nicht automatisch dazu, dass sie auch an Projekten teilnahmen. Die Autor*innen schreiben, es könnte helfen, die Projekte besser zu bewerben und mehr Details bekanntzugeben. Das würde vielleicht mehr Menschen motivieren, an einem Projekt teilzunehmen.

Einschränkungen: Die Studie umfasst qualitative Umfragen unter mittelalten Museumsbesucher*innen in London, deshalb sind die Aussagen nicht für eine größere Gruppe repräsentativ. Zudem beobachteten die Forschenden eine Verzerrung: In der breiten Bevölkerung hat bisher nur ein kleiner Prozentsatz an Citizen-Science-Projekten teilgenommen, unter den Proband*innen waren es deutlich über 10 Prozent. Wie man mittelalte Menschen ohne ein Wissenschaftsinteresse motivieren könnte, lässt sich aus dieser Studie also eher nicht ableiten.

Zielgruppe: Die Studie ist interessant für Veranstalter*innen von Citizen-Science-Projekten. Sie kann helfen, Bürger*innen besser und gezielter anzusprechen und sie stärker zu motivieren, an einem Projekt teilzunehmen. Da die Studie explorativ ist, ist sie auch interessant für Forscher*innen, die Ansätze suchen, sich mit der Motivation von potenziellen Teilnehmenden an Citizen-Science-Projekten zu beschäftigen.

Kam, W.; Haklay, M.; Lorke, J. (2020): Exploring factors associated with participation in citizen science among UK museum visitors aged 40-60: A qualitative study using the theoretical domains framework and the capability opportunity motivation-behaviour model, Public Understanding of Science, https://doi.org/10.1177/0963662520963511 

In unserer Blogreihe "Einblicke in die Citizen-Science-Forschung" schauen wir einmal im Quartal auf aktuelle Studien und Projektergebnisse und stellen drei ausgewählte Paper vor. Zudem empfehlen wir allen Interessierten den monatlichen Forschungsrückblick auf www.wissenschaftskommunikation.de, der aktuelle Erkenntnisse und Studien aus der Wissenschaftskommunikations-Forschung zusammenträgt. 

Lena Puttfarcken

Lena Puttfarcken ist freie Wissenschaftsjournalistin und promoviert am Karlsruher Institut für Technologie in Wissenschaftskommunikation. Für Bürger schaffen Wissen wirft sie regelmäßig einen Blick in die Citizen-Science-Forschung.