Direkt zum Inhalt
Bürger schaffen Wissen

Die Plattform für Citizen-Science-Projekte aus Deutschland: Mitforschen, präsentieren, informieren!

Wie können wir das volle Potenzial von Citizen Science erschließen? - Einblicke in die Forschungsarbeit von CS Track

28. Juli 2022 von Marius Oesterheld

Vor knapp drei Jahren hat das internationale Forschungsprojekt CS Track, das von der Europäischen Kommission im Rahmen des Förderprogramms Horizon 2020 finanziert wird, damit begonnen, die europäische Citizen-Science-Landschaft zu analysieren. Ziel des Projekts ist es, eine Datengrundlage für Forschende und Entscheider*innen zu schaffen und auf Basis der gesammelten Informationen konkrete Handlungsempfehlungen für verschiedene Stakeholder-Gruppen zu erarbeiten, damit Citizen Science (CS) noch effektiver etabliert und gefördert werden kann. Nun steuert CS Track auf die Zielgerade zu: Am 8. Oktober werden auf einem Abschluss-Symposium im Rahmen der ECSA-Konferenz in Berlin die Forschungsergebnisse präsentiert, im Januar 2023 endet das Projekt. Wir haben mit Reuma De Groot, Raul Drachman und Sally Reynolds aus dem CS-Track-Konsortium über das Projekt gesprochen.

Wie schätzen Sie die aktuelle Forschungslage zum Thema CS ein? Wo sehen Sie offene Fragen oder blinde Flecken? Und welchen Beitrag leistet CS Track dazu, diese Lücken zu füllen?

Drachman: Das ‘Framework Conceptual Model’, das wir Anfang des Jahres veröffentlicht haben, enthält eine Liste von offenen Forschungsfragen bzw. Forschungslücken, die wir versuchsweise in Kategorien gruppiert haben. Eine dieser Kategorien heißt ‘Partizipation’ und umfasst Aspekte wie Rekrutierung, Motivation und Einbindung von Freiwilligen. Dieser Themenkomplex ist in meinen Augen das wichtigste Forschungsfeld im Kontext von Citizen Science. Wenn diese Frage der Partizipation nicht thematisiert und die damit zusammenhängenden Probleme und Herausforderungen nicht in Angriff genommen werden, dann gehen den Bürgerwissenschaften unter Umständen die Bürger*innen aus.

De Groot: Aktuell haben wir zwar viele Informationen über CS-Projekte, können aber trotzdem noch nicht genau sagen, was Citizen Science ausmacht. Wir wissen im Allgemeinen, dass Citizen Science Bürger*innen in wissenschaftliche Aktivitäten einbezieht, aber wer sind diese Bürgerinnen und Bürger - Studierende? Rentner*innen? Familien? - und was sind ihre Beweggründe, Citizen Scientists zu werden? Was genau ist eine “wissenschaftliche Aktivität” in diesem Kontext? Die Antworten auf diese Fragen stehen noch aus. Der wichtigste blinde Fleck bei der Untersuchung von CS-Projekten besteht meines Erachtens darin, dass Informationen darüber, wer die Teilnehmenden in CS-Projekten sind und was sie tun, nur in begrenztem Umfang im Internet zu finden sind. Um mehr darüber zu erfahren, was hinter den Kulissen passiert braucht es oft direkte Kommunikation mit den Projektkoordinator*innen. Daher besteht ein klarer Bedarf an sozialwissenschaftlichen Methoden wie Interviews oder Fragebögen, deren Einsatz allerdings zeit- und kostenaufwändig ist. Die Ergebnisse solcher sozialwissenschaftlichen Studien können dann mit online verfügbaren Daten (wie z.B. Web-Auftritte, Social-Media-Aktivitäten, Publikationen etc.) in Beziehung gesetzt werden. Genau diesen Ansatz verfolgen wir mit CS Track.

Drachman: Eben diese innovative Kombination von traditionellen sozialwissenschaftlichen Forschungsmethoden mit neuartigen automatisierten Analyseverfahren, die sich auf Daten aus Websites und sozialen Medien stützen, ist das größte Alleinstellungsmerkmal von CS Track und hat schon einige wichtige Erkenntnisse zum Thema Partizipation hervorgebracht. Diese Ergebnisse, beispielsweise in Bezug auf projektinterne Kommunikation oder Lerneffekte bei Teilnehmenden, sind auch für Entscheidungsträger*innen relevant und bilden daher die Grundlage der Handlungsempfehlungen, die wir gerade erarbeiten.



CS Track hat sich zum Ziel gesetzt, aufzeigen, wie der Nutzen von Citizen Science für Wissenschaft und Gesellschaft maximiert werden kann. Was muss Ihrer Meinung nach passieren, um das Potenzial von Citizen Science voll auszuschöpfen? 

Drachman: Citizen Science birgt großes Potenzial für Wissenschaft und Gesellschaft, aber voll ausschöpfen lässt sich dieses Potenzial nur, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Zu diesen Erfolgsbedingungen zählen unter anderem Strategien um die aktive und langfristige Mitarbeit der Citizen Scientists sicherzustellen. Ziel muss sein, ein Umfeld zu schaffen, das die Teilnehmenden nachhaltig motiviert, sich in dem jeweiligen Projekt einzubringen – zum Beispiel durch Bildungsangebote, regelmäßige Kommunikation zwischen Freiwilligen und professionellen Wissenschaftler*innen, die keine Einbahnstraße sein darf, Veranstaltungen, Auszeichnungen, Ausstellung von Zertifikaten und so weiter. Gerade dieser Aspekt ist für die Projektinitiator*innen zwar oft sehr aufwendig und kostenintensiv, kann aber über Gelingen oder Scheitern eines Projekts entscheiden. 

Auf lange Sicht wird der Nutzen von Citizen Science für Gesellschaft und Wissenschaft zudem auch davon abhängen, wie CS-Projekte im Hinblick auf ihren wissenschaftlichen Output bewertet werden. Um Citizen Science zu einem integralen Bestandteil des Wissenschaftsbetriebs zu machen, brauchen wir gebührende Anerkennung aller Beteiligten, Mechanismen zur Gewährleistung der Datenqualität, Transparenz und Zugänglichkeit aller Forschungsergebnisse, sowie mehr Aufgeschlossenheit und Wertschätzung für Citizen Science auf Seiten der wissenschaftlichen Akteur*innen.



CS Track läuft jetzt seit gut zweieinhalb Jahren. Für ein Fazit ist es zwar noch etwas zu früh, aber können Sie vielleicht ein paar erste Resultate und Erkenntnisse zusammenfassen?

Drachman: CS Track hat eine Datenbank mit Informationen zu mehr als 4.700 Projekten erstellt, verschiedene Software-Tools zur automatisierten Textanalyse entwickelt, eine Umfrage mit mehr als 1000 Teilnehmenden sowie Fokusgruppen mit verschiedenen Stakeholdern durchgeführt, ein eMagazine etabliert, in dem zwei- bis dreimal im Monat neue Beiträge erscheinen, sowie mehrere wissenschaftliche Artikel veröffentlicht. Hinzu kommen natürlich diverse öffentliche Deliverables, also offizielle Berichte für die EU, die auf Zenodo zum Download bereitstehen.

De Groot: Bei unseren Analysen haben wir eine Reihe von interessanten Beobachtungen gemacht. Zum Beispiel sind CS-Projekte sehr oft interdisziplinär angelegt. Außerdem haben wir festgestellt, dass Citizen Scientists in vielen Fällen eine wichtige Rolle in der projektinternen Kommunikation (etwa in Diskussionsforen) spielen. Dieser Aspekt von Austausch, Zusammenarbeit und gemeinsamem Lernen – also die soziale Dimension eines CS-Projekts – ist übrigens auch ein bedeutender Motivationsfaktor für Citizen Scientists.



Was haben Sie sich für die verbleibenden Monate im Projekt noch vorgenommen?

Drachman: Die verbleibende Zeit werden wir in erster Linie nutzen, um verschiedene wissenschaftliche Publikationen zu finalisieren, die laufenden Analysen abzuschließen und auf Basis unserer Forschungsergebnisse Handlungsempfehlungen für verschiedene Stakeholder zu formulieren.

Reynolds: Wir beim Konsortiumspartner ATiT werden uns in den kommenden Monaten darauf konzentrieren, sicherzustellen, dass die Ergebnisse von CS Track die größtmögliche Wirkung haben. Das bedeutet, dass wir so eng wie möglich mit den Forschungsteams zusammenarbeiten, um ihnen zu helfen, aus ihren Ergebnissen die wichtigsten Informationen herauszufiltern und diese auf prägnante und attraktive Weise zu vermitteln. Im Mittelpunkt unserer Arbeit wird das Symposium stehen, das wir im Rahmen der ECSA-Konferenz im Oktober veranstalten und auf dem wir der CS-Community die wichtigsten Ergebnisse und Erkenntnisse des CS-Track-Projekts aus den letzten drei Jahren vorstellen wollen. 



Wie sehen Sie die Beziehung zwischen Wissenschaftskommunikation und Citizen Science? Welche Rolle spielt Wisskomm in CS-Projekten und umgekehrt?

Reynolds: Für mich ist Citizen Science ein integraler Bestandteil der Wissenschaftskommunikation. In einem CS-Projekt lernen die Teilnehmenden nicht nur mehr über die konkreten Forschungsaktivitäten, in die sie eingebunden werden, sondern auch über den Wissenschaftsbetrieb und das wissenschaftliche Arbeiten allgemein. Sie werden selbstbewusster, wenn es darum geht, wissenschaftliche Themen zu diskutieren, sowie Fachsprache zu verstehen und zu verwenden und erwerben dadurch ‘scientific literacy’. In meinen Augen deckt sich das grundsätzliche Ziel von Wissenschaftskommunikation genau mit dem, was die Teilnahme an einem CS-Projekt bewirken kann – nämlich eine besser informierte und sachkundigere Öffentlichkeit. Auch die Erfolgsvoraussetzungen sind dieselben: Klare, verständliche und auf den Punkt gebrachte Informationen, die auf die Interessen, Erwartungen und Vorkenntnisse des Publikums abgestimmt sind. Mit anderen Worten - gut konzipierte CS-Projekte stellen die Wissenschaftskommunikation in den Mittelpunkt ihrer Arbeit, auch wenn sie das Wort ‘Wissenschaftskommunikation’ vielleicht gar nicht verwenden. 

Drachman: Auch in meinen Augen erfüllt Citizen Science eine wichtige Funktion in der Wissenschaftskommunikation. Gerade im Rahmen von CS-Projekten findet ein echter Dialog zwischen Wissenschaftler*innen und Bürger*innen statt, da beide dort die zentralen Akteure sind. Ich denke, wenn der zarte Keim der Neugier und erste wissenschaftliche Kenntnisse und Fähigkeiten erst einmal diese Brücke, die durch Citizen Science geschlagen wird, überquert haben, dann verbreiten sie sich von diesem Zeitpunkt an auch leichter im Rest der Gesellschaft. Letztlich wird das dazu beitragen, dass mehr Menschen sich für eine wissenschaftliche Laufbahn entscheiden und dass sie der Wissenschaft insgesamt positiver gegenüberstehen – was in der heutigen Zeit ein ausgesprochen wichtiges Ziel ist. 

De Groot: Im Zuge meiner Arbeit für CS Track ist mir klar geworden, dass viele Projekte nicht deutlich genug machen, welchen wissenschaftlichen Beitrag sie in ihrem Forschungsfeld leisten. In diesem Sinne schöpfen sie nicht ganz das Potenzial aus, das Raul Drachman angesprochen hat – nämlich Citizen Science als Chance für Wissenschaftskommunikation zu nutzen.

CS-Track group Barcelona

Copyright: CS Track



Weitere Informationen über CS Track finden Sie auf der Projekt-Website. Für das erwähnte Abschluss-Symposium im Rahmen der ECSA Conference 2022 können Interessierte sich unter folgendem Link anmelden: ECSA Conference 2022 - Registration.

 

Marius Oesterheld

Marius Oesterheld ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Wissenschaft im Dialog und erforscht im Rahmen des EU-Projekts CS Track die europäische Citizen-Science-Landschaft. Weitere Informationen zu CS Track finden Sie hier.