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Mit Citizen Science hin zu einer mündigen Gesellschaft?

14. März 2019 von Yannick Brenz
Citizen Scientist / Bild: Karo Krämer
Citizen Scientist / Bild: Karo Krämer

If you are scientifically literate, the world looks very different to you: It’s not just a lot of mysterious things happening. […] If you are not scientifically literate, in a way, you are disenfranchising yourself from the democratic process, and you don’t even know it.“ (Zum Video). So drastisch beschreibt der Physiker und Wissenschaftskommunikator Neil deGrasse Tyson, für wie wichtig er das Konzept der Wissenschaftsmündigkeit für unser alltägliches Leben, aber auch für eine funktionierende demokratische Gesellschaft hält. Citizen Science wird das Potential zugeschrieben eben jene Wissenschaftsmündigkeit in der Gesellschaft zu fördern. Ob und in welchem Rahmen das funktionieren kann, darauf geben verschiedene Studien erste Hinweise. 

Vom Fachwissen zur Reflexion

Zunächst einmal vorweg: Was ist überhaupt Wissenschaftsmündigkeit? Im Englischen auch als scientific literacy bekannt, bezeichnete der Begriff in den 60er Jahren vor allem, wie viel Fachwissen man zitieren konnte, was man wusste. Seit den 1990ern hat sich die Definition des Begriffes gewandelt. Das Konzept Wissenschaftsmündigkeit umfasst heute - kurz gesagt - die Fähigkeit, wissenschaftliches Wissen zu verstehen, anzuwenden und zu reflektieren: Die Gewichtung verlagerte sich damit von “Wissenschaft” zu “Mündigkeit”.

Langfristiges Engagement zahlt sich aus

Die Annahme Citizen Science verbessere die Wissenschaftsmündigkeit ist weit verbreitet, doch die Studienlage dazu ist noch dünn. In einer kleinen Pilotstudie hat ein spanisches Forschungsteam 2016 gezeigt, dass die langfristige Teilnahme an einem Citizen Science-Projekt tatsächlich die scientific literacy (im heutigen Sinne) von Schüler*innen verbesserte. Ein Studienteilnehmer fasst zusammen: “Wir lernten etwas über die wissenschaftliche Methode und den Sinn einer Hypothese, wie man ein Experiment plant, zu Schlussfolgerungen kommt, einen Messfehler interpretiert und wie man die Größe einer Stichprobe bestimmt.“ 

 

Begleitstudien von Citizen Science-Projekten aus den USA zeichnen ein ähnliches Bild: Die Teilnehmenden entwickelten in langfristigen Projekten ein besseres Verständnis von Forschungsprozessen (Bonney 2015). Andere Untersuchungen sahen dagegen keinen Effekt (Brossard 2005, Crall 2012) oder erst mit empfindlicheren Messmethoden (Cronje 2011, Crall 2012). Direkte Vergleiche sind jedoch schwierig, da sich die Studien stark unterscheiden, sowohl in Art und Dauer des Projektes als auch in der Methode, wie scientific literacy gemessen wurde. Ein entscheidender Faktor scheint jedoch die Dauer des Engagements zu sein: Erst ein langfristiges Engagement führt zu einem deutlichen Effekt.

 

Interessanterweise ist es für die Teilnehmenden auch wichtig zu wissen, dass sie in einem echten Forschungsprojekt mitarbeiten und neues Wissen generieren. So erhöhte sich im Projekt „Plastikpiraten“ das Interesse für Wissenschaft - oft der Startpunkt von Wissenschaftsmündigkeit - erst mit dem Wissen, dass die Daten tatsächlich in eine aktuelle Studie einfließen. Und der Effekt verstärkte sich über Wochen hinweg sogar. 

Mitforschen und mitbestimmen

Im Interview auf unserem Blog weist Katrin Knickmeyer, Initiatorin der Plastikpiraten, darauf hin, dass „viele Schüler*innen, die mit ihrer Klasse herkommen, erstmals Kontakt mit der Wissenschaft bekommen.” Citizen Science kann also einen Zugang zu Wissenschaft schaffen, der Teilen der Bevölkerung unter Umständen fehlt.



In welchem Maße Bürgerwissenschaften damit die Zivilgesellschaft stärken, hängt auch davon ab, wie sehr sich die die Citizen Scientists einbringen können. In der bereits erwähnten spanischen Pilotstudie reichten Teilnehmende eigene Forschungsfragen ein und bearbeiteten sie zusammen mit Wissenschaftler*innen. Die Laien erkannten, dass Forschung tatsächlich ein gemeinschaftlicher Prozess ist. „Ich dachte, dass Wissenschaft nur aus Theorie und dem Auswendiglernen von Konzepten bestehen würde. Hier sehe ich aber, dass Wissenschaft auch viel Diskussion bedeutet“, so ein Studienteilnehmer.



Ein ähnliches Aha-Erlebnis hatte auch Benjamin Missbach, der in seinem Projekt „Reden Sie mit!“ zusammen mit Bürger*innen nach neuen Forschungsfragen sucht. Das Thema: Unfallmedizin. „Wir haben gelernt, dass Leute, die selbst betroffen sind, oft die besten Fragen stellen können“, so Missbach im Nachgeforscht-Interview. Gemeinsam werden so die Qualität und Relevanz der Forschungsfragen verbessert. Auch ein Unfallchirurg aus Pakistan diskutierte mit. „Für mich sind solche Momente großartig, weil man das Gefühl hat, einen sehr demokratischen Prozess aufgesetzt zu haben, der über die Ländergrenzen hinaus funktioniert“, sagt Missbach.

Was bedeutet das für Citizen Science?

Zugang schaffen, neue Fähigkeiten aneignen, Wissen anwenden, Forschungsprozesse mitgestalten – die genannten Studien und einzelne Erfahrungen von Projektinitiator*innen zeigen, dass Citizen Science durchaus dazu beitragen kann, die Wissenschaftsmündigkeit in unserer Gesellschaft zu fördern – wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind:



Zunächst muss ein Rahmen geschaffen werden, in dem Bürger*innen sich langfristig für ein Projekt begeistern und selbst motivieren können. Kommunikation und Feedback sind dabei das A und O: Man sollte ausreichend Zeit für die Kommunikation nach innen und außen einplanen und die entsprechenden Kanäle der Teilnehmenden finden und bespielen.



Um den Forschungsprozess demokratischer zu gestalten, könnten Forschende und Bürger*innen die Projekte von Beginn an gemeinsam diskutieren und entwickeln. Spezifische Angebote (wie Citizen Science in der Schule) und/oder neue Kommunikationskanäle könnten jene Menschen aktivieren, die bislang keinen Zugang zur Wissenschaft hatten und nicht erreicht wurden.



Letztlich bedarf es jedoch einfach noch mehr Studien, um die Lerneffekte von Citizen Science zu belegen, und zwar in vielen unterschiedlichen Projekten und mit noch mehr Teilnehmer*innen. Auch die Messmethoden sollten noch sensitiver und vergleichbar sein. Weitere und bessere Daten könnten so dabei helfen, die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Gesellschaft noch zu verbessern. 

 




Liste der zitierten Studien:

Bonney R, Phillips TB, Ballard HL, Enck JW (2015) “Can citizen science enhance public understanding of science?” Public Understanding of Science 1-15.

Brossard D, Lewenstein B, Bonney R (2005) “Scientific knowledge and attitude change: The impact of a citizen science project”. International Journal of Science Education, 27(9), 1099–1121.



Crall AW, Jordan R, Holfelder K, Newman GJ, Graham J, Waller DM (2012) “The impacts of an invasive species citizen science training program on participant attitudes, behavior, and science literacy” Public Understanding of Science 22(6) 745–764.



Cronje R, Rohlinger S, Crall A, Newman G (2011) “Does Participation in Citizen Science Improve Scientific Literacy? A Study to Compare Assessment Methods”.  Applied Environmental Education & Communication, 10:3, 135-145.



Ruiz-Mallén I, Riboli-Sasco L,  Ribrault C, Heras M, Laguna D, Leïla Peri L (2016) “Citizen science: Toward transformative learning”. Science Communication, Vol. 38(4) 523 –534. 

 

Yannick Brenz

Der Biologe ist seit Februar 2019 Volontär bei Wissenschaft im Dialog. Dort unterstützt er unter anderem das Projekt Bürger schaffen Wissen.