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Bürger schaffen Wissen

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Mittendrin statt nur dabei: Der Bürger*innenbeirat des Citizen-Science-Projekts SocialMediaHistory

29. November 2021 von Gastautor*in(nen)

Beiräte sind in der Wissenschaft kein seltenes Phänomen, um sich Expertisen und professionelle Rückmeldungen zu sichern. In Citizen-Science-Projekten kommen solche Beratungsgremien, vor allem bestehend aus Bürger*innen, jedoch eher selten vor. Und wenn, haben sie meist keine Entscheidungsbefugnisse. Anders ist das beim Citizen-Science-Projekt „SocialMediaHistory – Geschichte auf Instagram und TikTok“. Dabei bilden Bürger*innen zum einen den begleitenden „DabeiRat“ und sind zum anderen in vier Workshops an der Forschung und an der Erstellung von Open Educational Resources (OER) beteiligt.

Unser Forschungsthema ist dafür besonders prädestiniert, denn wir erforschen, wie und von wem Geschichte in den sozialen Medien dargestellt und rezipiert wird. Es liegt also nahe, die Perspektive der Öffentlichkeit zu integrieren und die Darstellungsformen von Geschichte in sozialen Medien nicht nur aus einem geschichtswissenschaftlichen Blickwinkel zu betrachten, sondern deren Wirkungsweisen direkt mit den Rezipient*innen zu diskutieren. Da die wissenschaftliche Analyse historischer Inhalte in den sozialen Medien zudem noch in den Kinderschuhen steckt, sind die Ideen der Nutzer*innen zum Sammeln, Aufbereiten und Auswerten der Daten besonders wertvoll. 

Der DabeiRat hat Ende Oktober 2021 seine Arbeit aufgenommen. Dem gingen sieben Monate konzeptioneller Arbeit und umfangreicher Abstimmungen im Projektteam voraus. Dieser lange Zeitraum war notwendig, um ein stimmiges, durchdachtes Konzept zu entwickeln, das den Vorstellungen des hauptamtlichen Teams entspricht und zugleich attraktiv für eine möglichst diverse Gruppe an Menschen ist. 

Transparenz, Augenhöhe und Mitsprache auf möglichst allen Projektebenen 

Das Design vieler Citizen-Science-Projekte sieht vor, dass die Teilnehmer*innen Daten zuliefern oder Hilfsaufgaben übernehmen, die die Wissenschaftler*innen nur mit deutlich höherem Zeitaufwand selbst umsetzen könnten. Bei SocialMediaHistory hingegen werden die Mitglieder des DabeiRats in alle Phasen des Projektes involviert – so stand es bereits im Förderantrag und diesen Anspruch nehmen wir sehr ernst. 

Die ca. 20 Mitglieder des DabeiRats entwickeln die Fragestellungen und Forschungsmethoden gemeinsam mit den hauptamtlich Forschenden, diskutieren mit ihnen Beispiele für Geschichtsdarstellungen in den sozialen Medien, sind an der Konzeption der Workshops, an der Projektevaluation und -kommunikation beteiligt. Und sie können, müssen aber nicht an allen – stets digital stattfindenden – Besprechungen teilnehmen. Entscheidungen werden demokratisch getroffen. Damit ist der DabeiRat nicht nur ein beratendes Gremium, sondern dessen Mitglieder gehören in unserer Wahrnehmung zum Projektteam. 

Mit der Entscheidung für dieses Vorgehen haben wir uns bewusst von einem Projektdesign distanziert, das an Hierarchien zwischen Wissenschaftler*innen und „Laien“ festhält. Auch haben wir keine festen Aufgaben definiert, sondern die DabeiRatsmitglieder können sich nach ihren eigenen Interessen und Möglichkeiten an allen Projektbereichen beteiligen. Zudem richten wir die Termine der Meetings und internen Workshops nach ihnen aus. Wir tun das, weil sie Meinungen, Erfahrungen und Expertisen in das Projekt einbringen, die wir als notwendig und bereichernd erachten, als zusätzliche Reflexionsebene, um Brücken zu schlagen zwischen universitären und nicht-universitären Diskursfeldern. 

Von dieser umfangreichen Integration des DabeiRats in das Projekt erhoffen wir uns inhaltliche Inputs, die wir so nicht allein entwickeln können. Und wir erhoffen uns, dass die Teilnehmer*innen als Multiplikator*innen die Erkenntnisse des Projekts in die Welt tragen. 

Doch um eine solche Wirkung zu erzielen, war noch eine weitere Frage zentral für unser Konzept:

Was können wir dem DabeiRat bieten?

Die Möglichkeit, an einem (geschichts-)wissenschaftlichen Forschungsprojekt teilzunehmen, ist vor allem für diejenigen attraktiv, die sich für (Geschichts-)Wissenschaft interessieren – und das ist nur ein begrenzter Teil der Bevölkerung. Um den Kreis an potenziellen Teilnehmer*innen zu vergrößern und sie davon zu überzeugen, sich über einen längeren Zeitraum in einem Citizen-Science-Projekt zu engagieren, reicht das Angebot zur Teilnahme allein oft nicht aus. Diversität und Langfristigkeit gehören zu den schwierigsten Faktoren bei der Umsetzung eines Citizen-Science-Projekts. 

Deshalb – und weil wir den Zeitaufwand und die Impulse nicht als selbstverständlich betrachten – haben wir uns verschiedene Benefits für unseren DabeiRat überlegt. Diese haben wir schon in der Ausschreibung klar und zentral kommuniziert, um Menschen anzusprechen, die sich vielleicht nicht intrinsisch für Geschichte interessieren und andere Motivationsfaktoren benötigen. Zu den Benefits gehören: ein Willkommenspaket mit Büchern, Zeitschriften und Arbeitsmaterialien; eine über die Projektlaufzeit verteilte Reihe an exklusiven Workshops zu wissenschaftlichen und praxisnahen Themen inkl. Teilnahmezertifikat; eine Ehrenamtsbescheinigung; kostenfreier Zugang zu den digitalen Services der Universität Hamburg und der Hamburger Bücherhallen; exklusive digitale Führungen durch und Workshops mit Museen; und Unterstützung für eigene Social-Media-Projekte. Gerade der letzte Punkt war dabei sehr wichtig im Sinne des Empowerments und als Form der kreativen Entfaltung, die vielen Menschen in ihrem normalen Alltag fehlt. 

Auch die transparente Kommunikation über Privilegien und Hierarchien innerhalb des Projekts, über Wege der Entscheidungsfindung, über die Evaluation der DabeiRatsarbeit und über finanzielle Aspekte sorgen dafür, so hoffen wir, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entstehen kann und dass sich die Teilnehmer*innen so wertgeschätzt fühlen, dass sie uns zwei Jahre lang ihre Zeit widmen. 

Zufriedenheit

Oft umfasst die Evaluation von Citizen-Science-Projekten vor allem den wissenschaftlichen Output eines Projekts. Uns war es von Beginn an sehr wichtig, darüber hinaus auch den Prozess selbst sowie die Auswirkungen der Dabeiratsarbeit auf die Teilnehmer*innen auszuwerten. Dazu werden wir nach einer ersten Vorevaluation jährliche Befragungen durchführen und die Erwartungen, Learnings, Zufriedenheit, den Grad der Motivation usw. abfragen. Ergänzen werden wir das durch eigene Beobachtungen und qualitative Interviews mit DabeiRatsmitgliedern. Nur so ist es unserer Meinung nach möglich, den Prozess immer wieder zu verbessern und zu schauen, ob die Teilnahme am Projekt Auswirkungen auf das Wissen, das Selbstbewusstsein oder die Kompetenzentwicklung der Teilnehmer*innen hat. Dass sie sich beispielsweise im Umgang mit den sozialen Medien oder mit historischen Inhalten sicherer fühlen, ist für uns als Mehrwert des Projekts ebenso wichtig wie die wissenschaftlichen Ergebnisse. Und nur, indem wir solche Faktoren erheben, können wir am Ende der Laufzeit Aussagen darüber treffen, ob das Format DabeiRat und unser Konzept erfolgreich waren und vielleicht ein Vorbild für andere Citizen-Science-Projekte sein können.

SocialMediaHistory ist ein Projekt der Public History der Universität Hamburg und der Geschichtsdidaktik der Ruhr-Universität Bochum in Zusammenarbeit mit Kulturpixel e. V. Es wird im Rahmen des Förderbereichs Bürgerforschung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert.

Gastautorin: Kristin Oswald, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektkoordinatorin von "SocialMediaHistory"

Gastautor*in(nen)

Auf dem Blog von Bürger schaffen Wissen laden wir Gastautor*innen ein über ihre Perspektive auf Citizen Science und jeweilige Themenschwerpunkte zu berichten. Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.