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Nachgeforscht bei Jens Bemme vom Historischen Radfahrerwissen

07. Mai 2018 von Florence Mühlenbein
Bürgerforscher und Initiator des Projekts Jens Bemme
Bürgerforscher und Initiator des Projekts Jens Bemme

In unserer Reihe Nachgeforscht schnuppern wir mit euch in die Citizen-Science-Projekte auf unserer Plattform rein. Regelmäßig stellen wir eine Projektinitiatorin oder einen Projektinitiator vor und sprechen über ihre oder seine Idee, wie sie Wirklichkeit wurde und worauf es beim Mitforschen ankommt. Diesmal mit Jens Bemme vom Historischen Radfahrerwissen.

Wo sind Sie zum ersten Mal mit Citizen Science in Berührung gekommen und was hat Sie bewegt, dabei zu bleiben?

Mit zwölf oder 13 haben wir mit den Jungen Naturforschern im Sommer Vögel beringt und die Wasserqualität der Dahme gemessen. Mit 15 bin ich in der Jugendredaktion der Märkischen Allgemeinen Zeitung gelandet, da recherchiert man auch: Feuerwehrfeste, Eröffnungen, Kinotipps. Und dann: DER ANSCHLAG, eine eigene Schülerzeitung.

Heute arbeite ich in einer Wissenschaftlichen Bibliothek, der SLUB Dresden. Als Studenten haben wir dort die Aktion ‚SLUB am Sonntag‘ erfunden. Jahre später leitete ich die Pressestelle und arbeite jetzt im Referat Saxonica: Heimatforschung und Citizen Science sind dort quasi Synonyme, wenn auch nicht deckungsgleich. Zufällig entdeckte ich in meiner Zeit in der Öffentlichkeitsarbeit das alte Radfahrerwissen als Forschungsfeld und Hobby.

Wie kam Ihnen die Idee zu Ihrem Projekt? Und warum wollen Sie Bürgerbeteiligung?

Ein Kollege zeigte mir ein digitalisiertes Tourenbuch als Anregungen für einen Tweet. Ich fand weitere – erst in der SLUB und dann auch in anderen Bibliotheken. Die Bücher führten mich zu deren Herausgebern, den historischen regionalen Radfahrerbünden.

Der Reiz regionaler und lokaler Radfahrgeschichte ist für mich, dass man sie allerorts finden und erforschen kann, in Bibliotheken, Stadtarchiven, Adressbüchern, Familienchroniken und alten Zeitungen. Jeder kann sich also seine eigenen Forschungsfragen stellen und loslegen. Radfahren berührte seit den 1890ern irgendwie alle – ein gesellschaftliches Querschnittsthema.  

Ich möchte, dass die Leute mehr Rad fahren, auch weil ihre Neugier geweckt ist. Das alte Radfahrerwissen ist eine gute Grundlage für neue Narrative, behaupte ich: im Tourismus, im Regionalmarketing, für die Verkehrspolitik oder in der Ahnenforschung.

Worum geht es in Ihrem Projekt?

Ich bitte Bibliotheken historische Rad-Reisebücher zu digitalisieren und recherchiere Quellen der regionalen Radfahrerbünde, die meist in Vergessenheit geraten sind, um deren Radfahrerwissen wieder zugänglich zu machen, möglichst digital mit Open Access.

Womit ringen Sie in Ihrem Arbeitsalltag am meisten?

Ein Projektbudget wäre toll.

Mal ehrlich: Gab es auch Fehlversuche oder Enttäuschungen? Was würden Sie beim nächsten Mal anders machen?

Manche Suchbegriffe hätten mir echt mal früher einfallen können! Aber im Ernst: Das Thema und die Sammlung mit Radfahrerwissen wächst organisch vor sich hin. Passt soweit.

„Die Neugier steht immer an erster Stelle eines Problems, das gelöst werden will“, weiß Galileo Galilei. Und darüber hinaus? – Was sind die 3 wichtigsten Eigenschaften, um bei dem Projekt mitzumachen?

Neugierig sein, interessiert auch an digitalen Werkzeugen, ohne Angst vor einem ‚Nein‘ oder Scheu Leute anzusprechen und von den kleinen Nischen, Geschichten und Erfolgen zu erzählen. 

Gummistiefel und Fernglas, Toolkit oder App – wie technisch versiert sollten Ihre Mitforscher sein?

Jedem nach seinem Geschmack: Lesen, schreiben und recherchieren ist ohne Computer vermutlich etwas mühseliger, aber nicht unmöglich. Willkommen sind in jedem Fall auch Leute, die für und mit den digitalisierten Büchern und Karten mit Idee, die mir nicht einfallen, neue Anwendungen programmieren.

Was kann man in Ihrem Projekt dazulernen?

Historisches Radfahrerwissen lehrt mich viel über die Zeit zwischen 1880 und 1930 und ist zum Beispiel ein guter Anlass für erste Archivbesuche. Die Stadtarchive in Dresden und Freiberg habe ich so kennengelernt. Mit Wikisource begann ich 2017 zu arbeiten, um die digitalisierten Texte des Jahrbuchs der deutschen Radfahrervereine von 1897 zu korrigieren, da die Texterkennung der digitalisierenden Bibliotheken längst nicht fehlerfrei arbeitet. Nun sind die Daten suchmaschinenrelevant. 

Es ergeben sich laufend spannende Querverbindungen und gesellschaftliche Zusammenhänge zwischen all den Spuren: alte Radfahrerplakate, Radfahrerkarten, Autorennamen, Piktogramme, Gastronomie und ähnliches. Andere Forscherinnen und Forscher weisen auf Spuren hin, zum Beispiel auf Germanus Theiss, einen Glasmacher und Radfahrervereins- und Gaugründer in Döbern; oder ein Numismatiker (Person, die sich mit Münzen beschäftigt) aus der Oberlausitz, dessen Sammlung auch Medaillen des Lausitzer Radfahrer-Bunds enthält.

Ihr schönster Citizen-Scientist-Moment – wie war der? Was war der größte Erfolg der gemeinsamen Forschung?

Ein Urenkel des Gründers des Lausitzer Radfahrer-Bundes, Georg Pauli, kontaktierte mich, weil er bei Recherchen meine Blogposts über den LRB fand. Der Nachlass Paulis besteht aus zahlreichen seiner Bücher, Zeitungen und aus autobiografischen Auszeichnungen. Auch durch diese Quellen wurde die Geschichte des Lausitzer Radfahrer-Bundes überhaupt wieder erzählbar.

Mehr als ein Dutzend regionaler Radfahrerbünde ist jetzt durch ihre Wikipedia-Artikel wieder sichtbar. Über einhundertfünfzig Radfahrerbücher, -zeitungen und -karten wurden seit 2014 digitalisiert. Das Radfahrer-Jahrbuch von 1897 und das Liederbuch des Gau 19 Rostock des Deutschen Radfahrer-Bundes stehen in Wikisource als digitale Quellen für die Wissenschaft zur Verfügung.

Wo kann man Ergebnisse Ihres Projektes sehen?

Im Internet: Bitte Radfahrerwissen suchen, Radfahrerbund oder Bundeseinkehrstelle. Da wird man zuerst die Wikipediaartikel finden, die nach und nach bei Recherchen entstanden. 

In Wikisource gibt es die Literatursammlungen Fahrrad und Tourenbücher für Radfahrer, außerdem das Jahrbuch der deutschen Radfahrer-Vereine und – gerade noch mitten in der Korrekturphase – das Liederbuch des Gau 19 Rostock des Deutschen Radfahrer-Bundes von 1900. Da ist Unterstützung willkommen!

Mit Inhalten des Radfahrerjahrbuchs von 1897 habe ich quer durchs Land Themenseiten in verschiedenen Stadt- und Regiowikis angelegt, die nun auch von anderen Nutzern mit zusätzlichen Daten aus der lokalen Radfahrer- und Ortsgeschichte angereichert und verknüpft werden – bitte einfach mal stöbern! 

Los ging es 2014 mit einem dienstlichen Blogpost über die alten Tourenbücher, den ich inzwischen einfach mit Kommentaren und Links anreichere, wenn wieder ein neues altes Tourenbuch online geht. 

Ich twittere @radfahrerwissen. In der OER-Worldmap sind die genannten Ressourcen zu finden und hier auf der Plattform.

Bürgerfroscher und Initiator des Projekts Jens Bemme

 

Florence Mühlenbein

Als Projektleiterin gestaltet und verantwortet Florence die Ausrichtung des Wettbewerbs. Zuvor war sie als Projektmanagerin bei mit:forschen! Gemeinsam Wissen schaffen tätig.