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Bürger schaffen Wissen

Die Plattform für Citizen-Science-Projekte aus Deutschland: Mitforschen, präsentieren, informieren!

Nachgeforscht bei Jesper Zedlitz von „DES - DatenErfassungsSystem“

23. August 2016 von Wiebke Brink
Foto: Andreas Geick
Foto: Andreas Geick

Kombiniert Hobby mit Beruf und Beruf mit Hobby: Jesper Zedlitz. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter entwickelt er in der Arbeitsgruppe Kommunikationssysteme an der Uni Kiel Software-Programme, in der Freizeit nutzt er seine Kenntnisse, um Datenbanken und Archive für die Familienforschung zu erschließen – zum Beispiel im Projekt DatenErfassungsSystem.

Wo sind Sie zum ersten Mal mit Citizen Science in Berührung gekommen und was hat Sie bewegt, dabei zu bleiben?

Den Verein für Computergenealogie gibt es mittlerweile seit 26 Jahren. Wir haben eigentlich schon immer Citizen Science betrieben – ohne das selbst so zu benennen.



Wie kam Ihnen die Idee zu Ihrem Projekt? Und warum wollen Sie Bürgerbeteiligung?

Schon vor fast zehn Jahren wurden wir auf die deutschen Verlustlisten des 1. Weltkriegs aufmerksam gemacht. Mit über 31.000 eng bedruckten Seiten im Zeitungskleinformat schien uns diese Quelle aufgrund des Umfangs nicht nutzbar. Die Arbeit, in den gedruckten Listen eine einzelne Person oder gar eine Gruppe von Personen zu finden, ist einfach zu groß. Erst Ende 2011 kam ich auf die Idee, dass eine große Gruppe von Freiwilligen die Erfassung schaffen kann. Wenn jeder ein paar Seiten oder auch nur ein paar einzelne Einträge abtippt, wird er zwar nicht die gesuchten Personen finden, aber irgendwann wird ein anderer Freiwilliger genau diese eintippen und auffindbar machen. Ohne die große Menge von am Ende über 700 Freiwilligen hätten wir die Aufgabe nicht bewältigen können.

Worum geht es in Ihrem Projekt?

Mit Hilfe unseres webbasierten Daten-Erfassungs-System (DES) bringen wir historische Dokumente in eine elektronische Form. Diese maschinenlesbaren Daten kann man durchsuchen, sortieren, analysieren, usw. Unser erstes und bisher größtes Projekt waren die deutschen Verlustlisten des 1. Weltkriegs, bei denen am Ende über 8,5 Millionen Einträge erfasst wurden. Mittlerweile bearbeiten wir zahlreiche weitere Quellen, wie historische Adressbücher oder Standesamtsunterlagen.

Womit ringen Sie in Ihrem Arbeitsalltag am meisten?

Die Betreuung der Freiwilligen ist insbesondere am Anfang zeitintensiv. Es ist aber schwer, für diese Betreuung wiederum Mithelfer zu bewinnen. Insgesamt würde ich das Anwerben von neuen Mithelfern und deren dauerhafte Motivation als größtes Problem sehen. Wir haben – auch durch Kooperationen mit Archiven – tolle Ideen für Erfassungsprojekte, aber nicht genug Helfer, um das alles zu bearbeiten.

Mal ehrlich: Gab es auch Fehlversuche oder Enttäuschungen? Was würden Sie beim nächsten Mal anders machen?

Bei unserem ersten Projekt hatten wir Angst vor der Menge der Daten. Daher haben wir dort die Erfassung auf ein Minimum von Angaben beschränkt. Jetzt fehlen diese Daten bei einigen Analysen. Das nachträgliche Erfassen ist aber wieder aufwendig. Als wir aus dem Fehler lernen wollten, haben wir bei einem Folgeprojekt fast alle Informationen abschreiben wollen. Das war aber keine gute Idee, denn die Erfassung zog sich wie Kaugummi und die Motivation der Freiwilligen litt, da es so langsam voranging und man an einem einzigen Eintrag schon mal eine Minute schreiben musste.



„Die Neugier steht immer an erster Stelle eines Problems, das gelöst werden will“, weiß Galileo Galilei. Und darüber hinaus? – Was sind die 3 wichtigsten Eigenschaften, um bei dem Projekt mitzumachen?

Wer gerne draußen in der Natur unterwegs ist, für den ist unser Projekt eher nichts – außer bei schlechtem Wetter oder am Abend. Man braucht schon eine gewisse Affinität zu historischen Quellen. Wer Spaß daran hat, im Archiv Dinge zu recherchieren, der wird vermutlich auch bei uns Freude an der Mitarbeit haben. Je nach Art der Quelle ist es notwendig, alter Schrift lesen zu können. Das kann gedruckte Frakturschrift oder auch handgeschriebene Kurrentschrift sein. Wir haben aber auch einige Quellen mit „normaler“ Druckschrift in der Erfassung.

Gummistiefel und Fernglas, Toolkit oder App – wie technisch versiert sollten Ihre Mitforscher sein? Was kann man in Ihrem Projekt dazulernen?

Also Tastatur und Maus sollte der Freiwillige schon auseinanderhalten können. 😉 Mit Technik muss man sich nicht groß auskennen. Die Arbeit wird komplett im Webbrowser erledigt. Dort muss man nur sicher mit Maus und Tastatur umgehen können. Es ist total spannend, etwas über das Leben in der Vergangenheit zu erfahren. Wenn man ein historisches Adressbuch bearbeitet, findet man z.B. viele ungewöhnliche Berufe, bei denen man ins Grübeln kommt, was die wohl gemacht haben. Wenn man die Stadt kennt, wird es noch spannender: Was hat sich geändert, was ist seit hundert Jahren unverändert. Wir haben einige sogenannte „Polizei-Blätter“ aus dem 19. Jahrhundert in Bearbeitung. Darin verbirgt sich so mancher aufregende Kriminalfall. Dabei kann es leicht passieren, dass man beim Lesen die Zeit (und das Weiterarbeiten) vergisst.

Ihr schönster Citizen Scientist-Moment – wie war der? Was war der größte Erfolg der gemeinsamen Forschung?

Als am späten Abend des 13. Augusts 2014 der letzte Datensatz der Verlustlisten eingetippt wurde. Anschließend wurde in vielen großen Tageszeitungen von der Erfassung berichtet. Es gab sogar eine Anfrage von der Tagesschau, aber daraus ist leider nichts geworden. Vielleicht zum Glück, denn wer weiß, ob unsere Server diesem Ansturm standgehalten hätten.

Wo kann man Ergebnisse Ihres Projektes sehen?

des.genealogy.net

Wiebke Brink

Wiebke Brink ist Projektleiterin von Bürger schaffen Wissen. Sie setzt sich seit mehr als zehn Jahren in verschiedenen Projekten und Kontexten mit den Themen Partizipation und Kommunikation auseinander.