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Bürger schaffen Wissen

Die Plattform für Citizen-Science-Projekte aus Deutschland: Mitforschen, präsentieren, informieren!

Nachgeforscht bei Matthias Geiger vom GBOL

18. Oktober 2016 von Wiebke Brink
Matthias Geiger (rechts) bei der Woche der Umwelt
Matthias Geiger (rechts) bei der Woche der Umwelt

Matthias Geiger setzt bei der Inventarisierung von 34 000 Arten auf das Engagement und Wissen von Ehrenamtlichen – als Koordinator des Projekt German Barcode of Life am Zoologischen Forschungsmuseum Alexander König. 

Wo sind Sie zum ersten Mal mit Citizen Science in Berührung gekommen und was hat Sie bewegt, dabei zu bleiben?



Tatsächlich ist das etwas relativ Neues für mich. Ich habe mich erst intensiver damit auseinandergesetzt als wir entschieden haben, unser GBOL-Projekt auch auf der „Bürger schaffen Wissen“ Plattform zu präsentieren. Die Idee, über die Plattform neue Spezialisten für das Projekt zu gewinnen, hat uns überzeugt. Dann war ich Ende 2015 auf der „IUBS – Frontiers in Unified Biology” Tagung eingeladen, um über unsere Strategie zu berichten, Bürgerwissenschaftler in unser Projekt einzubinden (“Engaging citizens in the inventory and DNA barcoding of fauna and flora – Experiences from the German Barcode of Life Project”). Dafür habe ich mich dann noch tiefer mit der Materie beschäftigt und selbst viel über gewisse Mechanismen gelernt. 

Wie kam Ihnen die Idee zu Ihrem Projekt? Und warum wollen Sie Bürgerbeteiligung?



Die Idee, DNA-basierte Verfahren – sogenanntes DNA-Barcoding – einzusetzen, um einerseits die Artenvielfalt und deren Zustand zu erfassen, aber auch, um Werkzeuge zu entwickeln, die für den Zoll, biologische Schädlingsbekämpfung oder die Lebensmittelüberwachung wichtig sein können, geht auf eine kanadische Initiative und Professor Paul Hebert aus dem Jahr 2003 zurück. In Deutschland haben sich danach mehrere Professoren aus verschiedenen Naturkundemuseen und Universitäten zusammen getan, um auch hier Grundlagen dafür zu schaffen. Da Taxonomie – also der Wissenschaftszweig der Biologie, der sich mit der Bestimmung, Beschreibung und Abgrenzung von Arten beschäftigt – aus dem Fokus der Universitäten geraten ist, gibt es heute einen klaren Mangel an gut ausgebildeten, professionellen Artenkennern, die entweder viele verschiedene Arten erkennen oder sich in einer bestimmten Gruppe extrem gut auskennen (z.B. Blattflöhe). Hier fällt immer wieder das Stichwort „Taxonomiekrise“ oder „taxonomic impediment“. Ein großer Teil dieser Expertise ist heute in Deutschland im Ehrenamt angesiedelt, ohne das die Behörden ihre Aufgaben im Bereich der Umweltüberwachung oft gar nicht mehr wahrnehmen könnten (vgl. Vogelmonitoring oder Tagfaltermonitoring). Und dort sind auch genau die Spezialisten, die wir in unserem Projekt benötigen, um für jede Tierart aus Deutschland einen Beleg zu bekommen, für den dann der DNA-Barcode erstellt werden kann. 

Worum geht es in Ihrem Projekt?



Wir versuchen bis Ende 2018 für etwa die Hälfte der bekannten Tier und Pflanzenarten sowie für wichtige Pilze und ein paar Kieselalgen DNA-Barcodes zu erstellen, also für etwa 34000 verschiedene Arten. Wenn diese Bibliothek erstellt ist, erlaubt die DNA-basierte Bestimmung von Organismen in vielen Bereichen einen wissenschaftlichen Quantensprung. Erstmals können Eier und Larven ihren Arten zugeordnet werden. Aus Kotproben kann man feststellen, was gefressen wurde. Die DNA im Wasser erzählt uns, welche Fische und Libellen dort wohnen und ob der Biber in der Nähe war. Es gibt fast keinen Lebensraum, der DNA-frei ist. In vielen Bereichen des Umwelt- und Naturschutzes muss man bisher mit dem Behelfskonstrukt der sogenannten Indikatorarten auskommen. Es wird angenommen, dass eine bestimmte Art immer den gleichen Aussagewert für ein Ökosystem hat. Also wenn der Wurm X hier lebt, muss das Wasser gut sein. Das stimmt sicher oft, aber eben nicht immer. Besser wäre sicher zu wissen, welche Arten denn genau hier leben. Oft kann man die Indikatorarten auch gar nicht sicher bestimmen (morphologisch), dann wird einer ganzen Gruppe von verschiedenen Arten ein Aussagewert zugeordnet. Das klingt nicht richtig plausibel, finde ich. Wir schaffen auch Grundlagen für viele andere Anwendungen. Stichworte wären: Bestäuber, Pollen, Saatgut, Entomologische Forensik.



Womit ringen Sie in Ihrem Arbeitsalltag am meisten?



Ich ringe nicht wirklich. Als Koordinator gibt es immer wieder kleinere Herausforderungen, aber da ich meine Arbeit gerne mache, bezeichne ich das nicht als Ringen. Wenn man etwas erreichen möchte, muss man etwas leisten. In meinem Fall habe ich mit sehr vielen verschiedenen Gebieten der Biologie zu tun, das ist toll, denn ich lerne ständig dazu. 

Mal ehrlich: Gab es auch Fehlversuche oder Enttäuschungen? Was würden Sie beim nächsten Mal anders machen?



Fehlversuche und Enttäuschungen gibt es immer wieder, z.B. wenn Proben im Labor nicht funktionieren, weil das Gewebe zu alt war und die DNA schon zu stark degradiert sind. Das ist besonders ärgerlich bei Arten, die uns noch fehlen. Aber das bekomme ich nur am Rande mit. Als „ausgebildeter“ Ichthyologe kenne ich mich eher mit Fischen bzw. Wirbeltieren aus, also vergleichsweise artenarmen und daher gut erfassten Gruppen. Wobei ich dabei bin, mir auch eine Insektengruppe zum vertieften Studium auszusuchen. Aber auch wenn Teilprojekte nicht die gewünschten Resultate erbringen und das in Berichten dargelegt werden muss, dann nimmt man sich für die Zukunft vor, sich stärker in bestimmte Projekte einzubringen. Das ist aber durchaus schwer mit einer erstrebten Lebens-Arbeits-Balance in Einklang zu bringen. 

„Die Neugier steht immer an erster Stelle eines Problems, das gelöst werden will“, weiß Galileo Galilei. Und darüber hinaus? – Was sind die 3 wichtigsten Eigenschaften, um bei dem Projekt mitzumachen?



Man sollte sich in einer Organismengruppe sehr gut auskennen – das ist das Wichtigste. Dazu braucht es in der Regel eine Menge Erfahrung, die automatisch eine gewisse Sorgfalt mit sich bringt. Diese ist ebenfalls wichtig, um die sogenannten Metadaten, also die Fundumstände, zur bereitgestellten Probe zu erheben und zu dokumentieren. Auch sollte man sich stets bewusst sein, wo man sich befindet (Naturschutzgebiet?) und welche Arten eventuell dem Artenschutz unterliegen. Dann benötigt man natürlich eine entsprechende Ausnahmegenehmigung zur Entnahme von Organismen. 

Gummistiefel und Fernglas, Toolkit oder App – wie technisch versiert sollten Ihre Mitforscher sein?



Das Gros unserer externen Experten hat sich über unser Webportal www.bolgermany.de registriert und dann von unseren Taxonkoordinatoren eine kurze Einführung in wissenschaftliches Sammeln bekommen - wenn das überhaupt nötig war. Aber auch Menschen, die die neuen Medien noch scheuen, können sich gerne bei uns melden und vollkommen analog mit uns zusammenarbeiten, auch das gibt es noch. Die technische Seite hängt stark von der bearbeiteten Organismenguppe ab. Jemand, der fehlende Fischarten zum Projekt beisteuern möchte, muss natürlich anders ausgerüstet sein als jemand, der Insekten sammeln geht und diese oft noch daheim unter dem Mikroskop exakt bestimmen muss. Viele unserer externen Experten schätzen inzwischen die Möglichkeit, sich ihre gesammelten Proben im Kontext eines Stammbaumes anzeigen zu lassen. Dabei wird anhand der DNA-Unterschiede der Verwandtschaftsgrad dargestellt, wodurch manchmal Überraschendes zu Tage kommt, wenn sich getrennte Populationen unerwartet stark unterscheiden, oder eben nicht – je nach Erwartungshaltung und biologischem Hintergrund. Nicht selten treten dabei Erstnachweise einer bestimmten Art für Deutschland oder ein Bundesland auf. Die DNA-Analyse als zusätzliches Merkmal lieferte aber auch schon Lösungsansätze für kniffelige taxonomische Fragestelllungen, etwa, wenn unklar war, ob zwei sehr ähnlich aussehende Arten nicht doch in Wirklichkeit nur eine Art darstellen. Am Museum Koenig in Bonn treffen wir uns einmal im Jahr mit vielen Taxonexperten, um solche Funde im Rahmen eines Workshops zu besprechen. 

Ihr schönster Citizen Scientist-Moment – wie war der? 



Im Sommer 2016 haben wir zusammen mit etwa 20 Taxonexperten einen „Bioblitz“ im Biosphärenreservat auf der Insel Vilm und Rügen durchgeführt. Zweieinhalb Tage lang wurde intensiv gesammelt und abends bestimmt. Dabei haben mich besonders der Einsatz und das Fachwissen der Kollegen beeindruckt, die ihre Freizeit für das Projekt geben. Trotz über dreißig Grad Hitze und unzähligen Zecken war die Stimmung gut und der Enthusiasmus, mit dem abends die Funde bearbeitet wurden, fast ansteckend. Ohne dieses Engagement ständen wir heute nicht da, wo wir sind. Ich möchte hier keine einzelne Gruppe extra herausstellen, denn alle Mitforscher sind für die Erfolge (UN Dekade Auszeichnung, Woche der Umwelt Teilnahme, Bewilligung der 2. Förderphase u.a.) wichtig gewesen. 

Wo kann man Ergebnisse Ihres Projektes sehen?



Am besten schaut man auf der GBOL-Homepage www.bolgermany.de vorbei. Die Rohergebnisse sieht man in Form von Artenlisten, die im Ampelsystem mit Nummern anzeigen, für welche Arten schon Material und DNA-Barcodes vorhanden sind. Man kann sich aber auch direkt anzeigen lassen, welche Arten einer bestimmten Gruppe noch fehlen. Die Zwischenberichte und Links zu den aus der Forschung resultierten Publikationen findet man ebenfalls auf dem GBOL-Portal. 

Wiebke Brink

Wiebke Brink ist Projektleiterin von Bürger schaffen Wissen. Sie setzt sich seit mehr als zehn Jahren in verschiedenen Projekten und Kontexten mit den Themen Partizipation und Kommunikation auseinander.