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Nachgeforscht bei Annelie Höhne von "BerlinAIR NO2-Atlas"

27. Januar 2020 von Sarah Schmidt
Foto: Annelie Höhne
Foto: Annelie Höhne

Ihr Projekt zur Datenerhebung über die Luftqualität in Berlin trifft ein heiß diskutiertes Thema zur Schadstoffbelastung der Städte. Welche Rückmeldungen haben Sie bis jetzt schon zu Ihrem Projekt erhalten? 

Die Rückmeldungen, die wir bisher erhalten haben, sind eigentlich alle durchweg positiv. Wir haben das Gefühl, dass die teilnehmenden Bürger*innen das Thema wirklich wichtig finden und dankbar über die Möglichkeit sind, mehr über die Luftqualität vor der eigenen Haustür zu erfahren. Im Rahmen unseres Projekts haben wir außerdem bereits mehrere Workshops mit Schulklassen durchgeführt. Die Lehrer*innen freuen sich dabei vor allem über die Möglichkeit, Unterrichtsinhalte mit Umweltbezug auch praktisch mit ihren Schüler*innen anwenden zu können. 

Wir stellen aber auch fest, dass hinsichtlich Luftschadstoffe vieles durcheinander gebracht wird. Für einige Bürger*innen sind beispielsweise Feinstaub und Stickstoffdioxid das Gleiche. In unserem Projekt geht es um die Messung des gasförmigen Stickstoffdioxids (NO2) mittels sogenannter Passivsammler. Feinstaub, der im Gegensatz zu NO2 aus winzigen Partikeln besteht, kann mit diesem Verfahren nicht gemessen werden. Darüber hinaus sind einige Bürger*innen natürlich auch alarmiert und schätzen die Luftqualität in der direkten Umgebung schlechter ein, als das vielleicht wirklich der Fall ist. Auch die Frage, ob der Grenzwert für NO2 von 40 µg/m³ wohl überschritten wird, hören wir häufig. Hierbei ist es wichtig den Bürger*innen klarzumachen, dass dieser besagte Grenzwert ein Jahresmittelwert darstellt. Es müsste also über ein ganzes Jahr gemessen werden, um die ermittelten Werte mit dem Grenzwert vergleichen zu können. Diese Unklarheiten und Missverständnisse versuchen wir mit Informationen auf unserer Webseite und im direkten Gespräch auszuräumen. 

Wo sind Sie zum ersten Mal mit Citizen Science in Berührung gekommen?

Citizen Science ist mir zum ersten Mal vor ein paar Jahren bewusst im Supermarkt begegnet. In einem Aushang habe ich vom Mückenatlas erfahren, bei dem man gefangene Mücken einschicken soll. Ich fand das Thema ziemlich interessant, habe aber leider nie mitgemacht. Vielleicht klappt es ja im kommenden Sommer. 

Richtig aktiv im Thema Citizen Science wurde ich dann erst durch meine Arbeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Umweltchemie und Luftreinhaltung an der TU Berlin. Gerade das Thema Luftreinhaltung eignet sich sehr gut für Citizen Science, da sich einige Luftschadstoffe durch Low-Tech- und Low-Cost-Lösungen gut erfassen lassen. Mit unserer Idee, die NO2-Konzentration mit Passivsammlern flächendeckend in Berlin unter Mitwirkung der Bevölkerung zu bestimmen, konnten wir die interne Forschungsförderung der TU Berlin letztendlich überzeugen. Somit ging das Projekt im Oktober 2018 an den Start. Nach einiger Vorbereitung hat es dann bei der langen Nacht der Wissenschaften 2019 richtig Fahrt aufgenommen. Später haben verschiedene Beiträge in der Presse und den Medien das Interesse vieler weiterer Bürger*innen geweckt. Da wir allerdings ein flächendeckendes Datennetzwerk generieren wollen, sind wir natürlich weiterhin auf der Suche nach interessierten Berliner*innen, die uns unterstützen möchten.

Warum ist die Einbeziehung der Bürger*innen in Ihrem Projekt so wichtig und was kann man in diesem Projekt dazulernen?

Da die Luft im Grunde das wichtigste Lebensmittel für uns darstellt, welches sich nicht substituieren lässt, sind wir alle auf eine ausreichend gute Qualität der Atemluft angewiesen. Gerade in Ballungsgebieten wie Berlin existiert eine Vielzahl an relevanten Quellen. Um dem Problem von schlechter Luftqualität auf den Grund zu gehen und mögliche Lösungsansätze zu finden, ist es daher besonders wichtig ausreichend Daten über die Ausbreitung und Verteilung relevanter Luftschadstoffe - in unserem Fall NO2 – zu gewinnen. Ein flächendeckendes hochaufgelöstes Datennetz lässt sich aber allein kaum generieren. Daher sind wir auf die Hilfe der Berliner*innen angewiesen. 

Neben der besseren Einschätzung der individuellen NO2-Belastungssituation, erhalten die Citizen Scientists ganz allgemeine Informationen zum Thema NO2 und zur städtischen Luftqualität. Sie lernen am praktischen Beispiel wie einfach das Sammeln von Luftproben sein kann und können sich auf unserer Webseite näher mit der Messmethode befassen. In unseren Workshops können Teilnehmer*innen außerdem aktiv bei der Auswertung im Labor mitwirken und erfahren dabei ebenfalls mehr über die Messtechnik. Außerdem ist uns bei der Ergebniskommunikation wichtig, dass wir die gemessenen Werte einordnen und mit anderen gemessenen Werten aus unserer Kampagne sowie offiziellen Messstellen der Behörden vergleichen. Würden wir nur die NO2-Konzentration ohne Vergleichswerte mitteilen, könnte dies möglicherweise zu Missverständnissen oder Fehlinterpretationen führen.

Gummistiefel und Fernglas, Toolkit oder App – wie technisch versiert sollten Ihre Mitforschenden sein?

Für die Messung von NO2 sammeln Berliner*innen zunächst mithilfe sogenannter Passivsammler 14 Tage lang Luftproben. Dazu muss man nichts weiter tun, als den Becher mit den vier enthaltenen Sammelröhrchen am ausgewählten Messort aufzuhängen und die Röhrchen zu öffnen. Nach der Probenahme erhalten wir die gesammelten Proben zurück und führen die Auswertung durch. Damit nichts schiefgehen kann, bekommt jeder Citizen Scientist eine detaillierte Anleitung für die Probenahme. Außerdem sind auf einem Protokollblatt ein paar Angaben zur Messstelle zu machen, die uns bei der späteren Auswertung helfen. Es geht also alles kinderleicht, so dass keine Vorkenntnisse oder besonderes technisches Know-How erforderlich sind.

Gibt es schon Ideen wie die Ergebnisse des Projektes verwendet werden? Ganz aktuell im Thema sind die UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs), gäbe es Möglichkeiten die erhobenen Daten dort zu verwenden oder dafür mit der lokalen Politik zu kooperieren?

Da wir mit der Datenerhebung noch relativ am Anfang stehen, gibt es noch keine ganz konkreten Ideen, wie die Ergebnisse des Projekts verwendet werden sollen. Wir können uns aber vorstellen, dass Sie von den verantwortlichen Behörden, die die Luftqualität in Berlin überwachen, genutzt werden. Zwar wird die Luftqualität offiziell an mehreren Messstellen in Berlin gemessen. Dies findet jedoch nicht flächendeckend statt, so dass die Behörden zur Beurteilung auch Modellrechnungen heranziehen müssen. Unsere flächendeckenden Daten könnten also dabei helfen, diese Modellrechnungen zu bestätigen oder zu widerlegen. Darüber hinaus könnten unsere Ergebnisse bei der Erarbeitung von Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität hilfreich sein und Einsatz bei der Fortschreibung von Luftreinhalteplänen finden. 

Da das Thema Luftqualität vor allem im UN-Nachhaltigkeitsziel „Gesundheit und Wohlbefinden“ enthalten ist, könnten unsere Daten somit auf lokaler Ebene auch dafür genutzt werden. 

Wir möchten unsere Daten außerdem als open Data zur Verfügung stellen. Das Ziel hierbei ist die mögliche Nutzung unserer Daten durch andere (Citizen Science) Projekte zum Thema Luftreinhaltung oder Klimaschutz. Vielleicht könnte der Austausch oder die Zusammenführung von Daten dazu beitragen, ein umfassendes Netzwerk verschiedener Luftschadstoffe über die Grenzen Berlins hinaus zu generieren. 

Bis jetzt werden Ihre Daten in einem Zeitraum von ca. 14 Tagen gesammelt. Um mögliche Konzepte zum Thema Schadstoffbelastung in der Stadt vorzuschlagen wäre es sicher auch interessant feststellen zu können, zu welchem Zeitraum die höchste Schadstoffbelastung vorliegt. Gäbe es Möglichkeiten oder Vorhaben die Messtechnik dahingehend weiterzuentwickeln?

Ja, es ist richtig, dass mit unseren Messungen nur über einen Zeitraum von ca. 14 Tagen gemittelte NO2-Konzentrationen bestimmt werden. Man sieht also nicht, zu welchem Zeitpunkt die Konzentration evtl. besonders hoch (z.B. Berufsverkehr) oder besonders niedrig war. Das stellt gewissermaßen einen Nachteil unserer Methode dar. 

Ähnlich wie für Feinstaub gibt es auch für NO2 einfache Sensoren, mit denen sich Echtzeitmessungen durchführen und Spitzenwerte erfassen lassen. Prinzipiell sind solche Geräte gut für den Citizen-Science-Ansatz geeignet, wie bereits andere Projekte zur Feinstaubmessung zeigen. Neben der hohen zeitlichen Auflösung wären mit solchen Sensoren beispielsweise auch mobile Messungen möglich. Außerdem würden sie sich sehr gut für Innenraummessungen eignen, um beispielsweise die Belastung bei einem einzelnen Kochvorgang mit dem Gasherd zu erfassen. Das Problem der NO2-Sensoren besteht jedoch darin, dass die Geräte vergleichsweise teuer sind und die Kalibrierung und somit die Gewinnung verlässlicher Messwerte noch schwierig ist. Wir versuchen aktuell Lösungen für diese Probleme zu finden und hoffen, dass Sensoren zukünftig ebenfalls in unserem Projekt von Citizen Scientists genutzt werden können.

Alternativ haben wir die Idee die Passivsammler so zu modifizieren, dass damit auch über einen kürzeren Zeitraum gemessen werden kann, z.B. für eine Stunde. Bei mehreren Messungen hintereinander, könnten so auch zeitliche Konzentrationsschwankungen erfasst werden. Hier möchte ich aber noch nicht zu viel verraten. 

Ihr schönster Citizen-Scientist-Moment – wie war der? Was war der größte Erfolg der bisherigen gemeinsamen Forschung?

Diese Frage finde ich recht schwierig zu beantworten. Ich freue mich grundsätzlich immer, wenn mir jemand sagt, dass er oder sie das Projekt oder die Arbeit, die wir machen, toll findet. Als besonders schön habe ich aber unseren Tag des offenen Labors empfunden, den wir nach der langen Nacht der Wissenschaften bei uns am Fachgebiet veranstaltet haben. Dabei hatten die Citizen Scientists, bei der Rückgabe ihrer gesammelten Proben die Möglichkeit sich unser Labor anzuschauen und uns bei der Auswertung über die Schulter zu schauen. Anschließend haben wir bei Kaffee und Kuchen auf der Terrasse zusammengesessen und uns zum Thema ausgetauscht. Darüber hinaus hat man aber auch Persönliches der Teilnehmer*innen erfahren, so dass die Atmosphäre etwas fast Familiäres hatte. 

Der größte Erfolg der gemeinsamen Forschung ist für mich eigentlich, dass bereits so viele Leute mitgemacht haben. Zu Beginn des Projekts hatten wir keine Vorstellung davon, ob überhaupt jemand teilnehmen würde und ob alles so klappt wie wir uns das vorstellen. Nachdem die TU Berlin dann eine Medieninformation veröffentlicht hat, war der Ansturm ziemlich groß, was uns natürlich gefreut aber auch etwas überrumpelt hat. Witzigerweise wurden dann auch mehrere Radiointerviews mit mir geführt, was eine total neue Erfahrung für mich war.

 

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Sarah Schmidt

Promovierende der Neurowissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Als Praktikantin bei Wissenschaft im Dialog arbeitet sie für Bürger schaffen Wissen.