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„Wir leisten mit Citizen Science einen Beitrag zur Gesundheit des Planeten“ - Nachgeforscht bei Linda Mederake und Tim Kiessling von Plastic Pirates - Go Europe!

04. Oktober 2022 von Fabienne Wehrle
Foto: BMBF / Gesine Born
Foto: BMBF / Gesine Born

Bei den Plastic Pirates werden Kinder und Jugendliche zu Bürgerforscher*innen. Wir haben mit Linda Mederake (Ecologic Institut) und Tim Kiessling (Kieler Forschungswerkstatt) über die Entwicklung des Citizen-Science-Projekts, ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Schulklassen und Erwartungen an die #ECSA2022 gesprochen.

Worum geht es im Projekt „Plastic Pirates - Go Europe!”?

Mederake: Bei den Plastic Pirates untersuchen Schulklassen und Jugendgruppen das Plastikmüllaufkommen an und in Fließgewässern. Die Plastic Pirates haben dabei zwei Hauptziele. Das eine ist die weiträumige wissenschaftliche Erfassung der Müllverschmutzung an Fließgewässern. Dazu gibt es noch relativ wenig Daten und ohne die Beteiligung von Bürgerwissenschaftler*innen wäre es sehr schwer, über solch eine große Fläche an so vielen verschiedenen Stellen Proben zu nehmen. Gleichzeitig geht es darum, das wissenschaftliche Verständnis der teilnehmenden Jugendlichen zu fördern und ihr Interesse anzuregen.

Wie ist das Projekt entstanden und wie hat es sich während seiner Laufzeit weiterentwickelt?

Kiessling: Das Projekt ist aus einem Citizen-Science-Projekt hervorgegangen, das sich mit Strandmüll in Deutschland und Chile beschäftigt hat. Im Rahmen des Wissenschaftsjahr 2016/2017 zum Thema “Meere und Ozeane” haben wir dann die Plastic Pirates entwickelt. Mit der Trio-Ratspräsidentschaft 2020/2021 in der EU wurde das Projekt auf Portugal und Slowenien ausgeweitet und seit 2022 mit Unterstützung der EU-Kommission auf Europa. Belgien, Bulgarien, Griechenland, Italien, Litauen, Österreich, Spanien und Ungarn sind bereits dazugekommen. Bei dieser Ausweitung der Forschungszusammenarbeit finde ich es sehr spannend, Unterschiede im europaweiten Kontext zu untersuchen, auch in Bezug zu den unterschiedlichen Gesetzeslagen. Wir könnten zum Beispiel schauen, ob das Pfandsystem, das es hier in Deutschland gibt, Auswirkungen auf die Müllfunde hat.

Wie können Jugendliche und Schulklassen bei “Plastic Pirates - Go Europe!” mitmachen?

Mederake: Das geht eigentlich ganz leicht – man kann einfach auf unserer Seite www.plastic-pirates.eu die Aktionsmaterialien bestellen und loslegen. In der Regel machen das Lehrkräfte oder Jugendgruppen-Leitungen, aber es können sich auch Jugendliche mit einer Kleingruppe bei uns melden. Die Aktion richtet sich insbesondere an Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 16 Jahren, aber auch darüber hinaus kann gerne teilgenommen werden. Jetzt ist gerade ein guter Zeitpunkt, um Materialien zu bestellen, denn am 15. September hat unser aktueller Aktionszeitraum gestartet, der noch bis Mitte November läuft. In dieser Zeit können die Probenahmen am Fluss gemacht und die Daten bei uns eingereicht werden. Die Gruppen führen die Probenahmen dann entsprechend der Anleitungen in unseren Aktionsmaterialien selbstständig durch und senden die Proben und Ergebnisse ein.

Was passiert mit den gesammelten Daten und wie helfen sie der Forschung?

Kiessling: Die Daten landen erst mal auf unserer Webseite und werden von uns auf Vollständigkeit überprüft. Eventuelle Rückfragen klären wir dann mit den Lehrkräften. Danach beginnt die Forschung mit den Daten. Wir versuchen also, mit unserem großen Datensatz folgende Fragen zu beantworten: Wie viel Müll kommt überhaupt vor? Aus welchen Materialien besteht er? Finden wir Einwegplastik – also zum Beispiel auch solches, das von der EU im letzten Jahr verboten wurde? Welche Müllquellen gibt es? Wurde Mikroplastik gefunden? Es gibt eine ganze Menge an Forschungsfragen, die wir mit den Citizen-Science-Daten beantworten können.

Foto: BMBF / Gesine Born
Foto: BMBF / Gesine Born

Was sind für Sie besonders schöne Momente in der Zusammenarbeit mit Jugendlichen?

Kiessling: Eine Schulklasse aus Kiel ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Wir begleiten die teilnehmenden Klassen eher selten bei der Probenahme, aber hier hatten wir uns vorgenommen, insbesondere Schüler*innen anzusprechen, die üblicherweise nicht von Citizen-Science-Angeboten profitieren – an unserem Projekt nehmen hauptsächlich Gymnasien teil. Das war ein sehr, sehr schöner Tag. Die Schüler*innen haben super mitgemacht und viele Fragen zum Studium und zu meiner Arbeit als Wissenschaftler gestellt. 

Mederake: Ich finde es auch immer besonders schön, wenn sich Jugendliche bei uns melden, die sich nach ihrer Teilnahme an den Plastic Pirates vertieft mit dem Thema Plastik beschäftigen wollen, zum Beispiel bei Jugend forscht oder in einer Projektarbeit.

Welchen Ratschlag würden Sie anderen Citizen-Science-Projekten mitgeben, die ebenfalls mit Schüler*innen arbeiten wollen?

Kiessling: Aus meiner Sicht gibt es zwei wichtige Punkte, die ich anfangs auch unterschätzt habe. Das ist einmal die intensive Kommunikation mit den Lehrkräften. Wir schreiben sehr, sehr viele E-Mails, denn um die erhobenen Datensätze verwenden zu können, müssen wir meistens Rückfragen stellen. Das liegt nicht an den Lehrkräften, sondern an der Komplexität der Probenahme. Der zweite Punkt schließt daran an: Wir verwenden sehr viel Zeit darauf, die Datenqualität zu überprüfen. Wir gleichen die Fotos mit den Müllfunden ab, überprüfen jeden Datenpunkt bei OpenStreetMap und so weiter. Das ist sehr aufwändig, aber notwendig, denn gerade die Qualität von Citizen-Science-Daten wird in Peer-Review-Verfahren bei Veröffentlichungen angezweifelt. Es wäre schön, wenn die Datenqualität bei anderen Forschungsansätzen auch so rigoros hinterfragt würde.

Mederake: Ich glaube, wenn man mit Schulen arbeitet ist es außerdem ganz zentral, dass zum Beispiel die Materialien so gut aufbereitet sind, dass die Lehrkräfte möglichst direkt damit arbeiten können und nicht noch viel Zeit in die Vorbereitung stecken müssen. Es ist ja leider auch so schon schwierig genug, die Teilnahme an solchen Projekten im Lehrplan unterzubekommen.

Frau Mederake, Sie sind Anfang Oktober bei der europäischen Citizen-Science-Konferenz ECSA zum Motto „Citizen Science for Planetary Health“ mit einem Vortrag zu den Plastic Pirates zu Gast. Inwiefern tragen die Plastikpiraten zur planetaren Gesundheit bei?

Mederake: Die weltweite Plastikverschmutzung ist ein Faktor, der die planetare Gesundheit gefährdet, denn sie hat wirklich verheerende Auswirkungen auf Ökosysteme, auf die Tierwelt, aber auch auf die menschliche Gesundheit. Die Plastic Pirates helfen dabei das Ausmaß und die Art der Plastikverschmutzung besser zu ergründen. Auf dieser Grundlage können dann Empfehlungen an die Politik ausgesprochen werden, welche Maßnahmen besonders geeignet sind, um die Verschmutzung am Fluss zu mindern. So leisten wir mit Citizen Science einen Beitrag zur Gesundheit des Planeten.

Kiessling: Genau. Ich finde, wir müssen zusehen, dass wir uns als individuelle Personen nicht die ganze Verantwortung im Klima- und Umweltschutz aufladen. Natürlich kann es sinnvoll sein, zum Beispiel auf den eigenen Konsum zu achten, aber wir sollten die Politik und die Unternehmen in die Verantwortung nehmen und das versuchen wir auch mit den Plastic Pirates.

Was sind Ihre Erwartungen an die Konferenz?

Mederake: Ich freue mich insbesondere auch nach der langen Corona-Zeit, auf eine Konferenz, bei der sich Menschen wieder in persona treffen und auf die vielen Projekte mit ganz unterschiedlichen disziplinären Hintergründen. Davon erhoffe ich mir Anregungen für die eigene Arbeit und einen fruchtbaren Austausch zwischen einer Vielzahl von Perspektiven aus verschiedenen Disziplinen und Ländern.

Wie geht es mit den Plastic Pirates weiter? Welche nächsten Schritte stehen an?

Kiessling: Erst mal steht die Ausweitung auf weitere Länder an. Da wird gerade ganz aktiv daran gearbeitet und das soll auch schon in diesem Aktionszeitraum passieren. Aus wissenschaftlicher Sicht stehen wir vor der Frage, inwiefern die Plastic-Pirates-Daten mit anderen Datensätzen zu Plastikvorkommen zusammengeführt und harmonisiert werden können. Das finde ich spannend, denn das könnte den Daten auch in der Politik mehr Gewicht verleihen.

Mederake: Es stehen außerdem verschiedene Publikationen an, zum Beispiel zum Thema Einwegplastik, was auch der Fokus meines Vortrags bei der ECSA sein wird. Der zentrale Termin ist jetzt aber natürlich der aktuelle Aktionszeitraum und da freuen wir uns auf möglichst viele Teilnehmende.

Lust mitzumachen? Hier können Sie die Aktionsmaterialien bestellen.

Foto: BMBF / Gesine Born
Foto: BMBF / Gesine Born

Fabienne Wehrle

Fabienne ist Projektmanagerin und Online-Redakteurin. Sie betreut die Plattform, kümmert sich um die Social-Media-Kanäle und ist für die Kommunikation rund um Bürger schaffen Wissen zuständig.