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„Wir können das nur mit Unterstützung vieler Bürgerwissenschaftler*innen schaffen” – Nachgeforscht bei Loeka Jongejans von Nachtlichter

Foto: Rishabh Dharmani/unsplash

Lichtverschmutzung, also künstliches Licht bei Nacht, ist ein wachsendes Umweltproblem. Wir haben mit Loeka Jongejans (Ruhr-Universität Bochum) vom Citizen-Science-Projekt Nachtlichter gesprochen, bei dem gemeinsam mit engagierten Bürger*innen Datenlücken zu Lichtquellen am Boden gefüllt werden.

Das Projekt Nachtlichter steht unter dem Motto Wir zählen Lichter, weil die Nacht zählt". Was ist damit gemeint?

Jongejans: Unser Motto bezieht sich darauf, dass sich die zunehmende Lichtverschmutzung sehr stark auswirkt auf die Umwelt, zum Beispiel auf Tiere wie Zugvögel oder Insekten, aber auch auf Pflanzen und im Grunde auf alle Lebewesen, die sich an den Tag-Nacht-Rhythmus angepasst haben. Da ich selbst Hobby-Ornithologin bin, hat mich das auf jeden Fall motiviert, mich an dem Projekt zu beteiligen. Viele Zugvögel fliegen nämlich nachts und werden dabei – vor allem wenn das Wetter schlecht ist und sie tiefer fliegen – von den künstlichen Lichtern abgelenkt und in Städte gezogen, wo viele in Gebäude fliegen und sterben. 

Was macht ihr bei Nachtlichter, um dem Problem der Lichtverschmutzung zu begegnen?

Jongejans: Wir wissen, dass weltweit Lichtemissionen zunehmen, denn das wurde von Satelliten gemessen. Wir verstehen aber nicht so richtig, warum. Sind es mehr Lichtquellen geworden oder hat sich die Art der Lichter verändert? Und wann sind die Lichter überhaupt an- oder ausgeschaltet? Satelliten überfliegen nur sehr spät abends oder sehr früh am Morgen die Erde und geben daher beispielsweise keinen Aufschluss über die Nutzung der Lichter am frühen Abend. Mit unserer diesjährigen Kampagne „Zeit für die Nacht”, die im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2023 – Unser Universum stattfindet, wollen wir herausfinden, wie sich die Lichtnutzung über Abend und Nacht verändert. Diesen September und Oktober laden wir daher alle Interessierten ein, rauszugehen und mit Hilfe unserer Web-App Lichtquellen an verschiedenen Zeitpunkten zu zählen, um Daten über die Veränderungen der Lichtnutzung im Laufe des Abends zu gewinnen. 

Eine Teilnehmende trägt ihre Beobachtungen in die App ein.
Eine Teilnehmende trägt ihre Beobachtung in die Nachtlichter-App ein. Foto: Chris Kyba

Welchen Mehrwert bietet es für euch, dazu einen Citizen-Science-Ansatz zu verwenden?

Jongejans: Wir brauchen so viele Daten wie möglich, von verschiedenen Orten – das können wir nur mit Unterstützung vieler Bürgerwissenschaftler*innen schaffen. Wir sind nämlich auch daran interessiert, wie sich die Lichtnutzung geographisch gesehen unterscheidet, also innerhalb von Deutschland, zwischen Städten und Land, aber auch zwischen verschiedenen Ländern. Die Lichtemissionen in Deutschland zum Beispiel sind relativ gering im Vergleich zu anderen Ländern. Wir möchten herausfinden, woran das liegt. Gibt es generell weniger Lichtquellen oder werden die Lichter öfter abgeschaltet? Menschen weltweit sind herzlich eingeladen mitzuforschen!

Wie können Bürger*innen denn konkret mitmachen?

Jongejans: Auf unserer Webseite findet man alle Informationen und ein Tutorial, in dem erklärt wird, wie man die verschiedenen Arten von Lichtern zählt – von beleuchteten Fenstern und Werbeschildern bis hin zu Straßenlaternen und Ampelanlagen. Unsere App läuft über den Browser, dort muss man zuerst ein Konto anlegen. Dann geht man nach draußen und wählt in der App einen Straßenabschnitt aus, der vordefiniert ist oder man erstellt selbst ein solches sogenanntes Transekt. In der Regel sind das relativ kurze Strecken, für die man etwa zehn bis fünfzehn Minuten zu Fuß braucht. Man begeht das Transekt zweimal, im Abstand von mindestens einer Stunde, und erfasst und kategorisiert dabei alle Lichter, die man sieht. So wollen wir Daten darüber gewinnen, wie Lichter genutzt werden. 

Screenshot der Nachtlichter-App
Screenshot der Nachtlichter-App

Die Bürger*innen sind also vor allem in die Datenerhebung eingebunden?

Jongejans: Nicht nur! Der Grad der Beteiligung hängt davon ab, wie stark sich die jeweilige Person einbringen möchte und kann, aber eigentlich sind an allen Schritten des Projekts Bürger*innen beteiligt. Die Bürger*innen waren bei Nachtlichter von Anfang an dabei, also auch schon in der Projektentwicklung und der Entwicklung der App. Das Projekt hat 2019 begonnen und ist organisch gewachsen: Es kamen immer mehr Leute auf uns zu, die sich sehr für die Themen Astronomie, Lichtverschmutzung und Naturschutz interessieren und sich einbringen wollten. Während der Corona-Pandemie haben wir regelmäßige digitale Treffen eingeführt und seitdem finden alle zwei Wochen Online-Treffen statt, bei denen wir uns zum Beispiel zur Kategorisierung verschiedener Lichtquellen austauschen. Jede andere zweite Woche finden außerdem Treffen mit Bürger*innen statt, die bei der Datenanalyse unterstützen möchten. Auch bei der Veröffentlichung von Daten und dem Verfassen von wissenschaftlichen Publikationen beteiligen sich Bürger*innen, die dann natürlich als Ko-Autor*innen genannt werden. Wer an den Online-Treffen teilnehmen möchte, kann sich einfach auf unserer Mailingliste eintragen und dazukommen. Wir freuen uns aber ebenso über jede Person, die loszieht, um Lichter zu zählen und keine Lust oder Zeit hat, sich noch intensiver einzubringen. 

Die diesjährige Kampagne ist ja nicht die erste in eurem Projekt. Welche Erfolge konntet ihr in der Vergangenheit bereits verzeichnen?

Jongejans: Genau, 2021 gab es bereits eine Zählkampagne, bei der der Fokus auf dem Vergleich von Satellitenbildern und von Bürger*innen gezählten Lichtern lag. Da wurden großflächig Lichtquellen gezählt, in Deutschland und weltweit, um einzelne Pixel auf Satellitenbildern mit der Anzahl und Art der im jeweiligen Gebiet aufgezeichneten Lichtquellen vergleichen zu können. Damals haben sich über 200 Bürgerwissenschaftler*innen beteiligt: Sie haben nachts auf der Straße mit der App ihre Beobachtungen eingetragen und so fast eine Viertel Million Lichter gezählt und nach Art, Helligkeit und Farbe klassifiziert. Dabei haben sie insgesamt 22 Quadratkilometer abgezählt und sind eine Strecke von 645 Kilometern gelaufen. Für uns war es ein toller Erfolg und eine große Überraschung, dass so viele Lichter gezählt wurden und so viele Leute mitgemacht haben. Wir hoffen natürlich, dass in diesem Jahr auch wieder so viele Leute mitmachen.

Seid ihr in eurem Projekt auch schon Herausforderungen begegnet?

Jongejans: Auch wenn wir bereits viele Menschen aktivieren konnten – das schwierigste bleibt, motivierte Leute zu finden. Klar, wir laden alle ein, aber natürlich machen nicht alle mit, da man schon ein bisschen Zeit investieren muss: Das Tutorial abzuschließen dauert circa 20 Minuten und dann muss man mehrmals rausgehen, um Lichter zu erfassen. Wir wollen bei der aktuellen Kampagne an bisherige Erfolge anknüpfen und aus unseren Erfahrungen lernen. Zum Beispiel haben wir in der Vergangenheit gemerkt, dass der persönliche Austausch und direkte Gespräche wichtiger sind als Vorträge vor größerem Publikum. Bei der Wanderausstellung Universe on Tour im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2023 haben wir deshalb an jeder Station einen Light Walk angeboten, um mit Interessierten ins Gespräch zu kommen. 

Loeka Jongejans in Göttingen
Loeka Jongejans bei einem Light Walk in Göttingen. Foto: Johanna Müller-Horn

Worauf freust du dich bei der diesjährigen Kampagne besonders?

Jongejans: Ich freue mich darauf, zu sehen, welche Daten wir gewinnen und ob wir herausfinden können, wann Lichter ausgeschaltet werden oder welche Art von Lichtern zum Beispiel eher überflüssig sind, weil zum Beispiel sowieso keine Leute auf der Straße unterwegs sind. Das wird spannend!

 

Fabienne Wehrle

Fabienne ist Projektmanagerin und Online-Redakteurin. Sie betreut die Plattform, kümmert sich um die Social-Media-Kanäle und ist für die Kommunikation rund um mit:forschen! Gemeinsam Wissen schaffen zuständig.