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Nachtigall-Forschung: Erkenntnisse zu Strategien des Datensammelns und zur Qualität der bioaktustischen Daten

01. Juli 2021 von Nicola Moczek
Singendes Nachtgallmännchen (Foto: Kim G. Mortega)
Singendes Nachtgallmännchen (Foto: Kim G. Mortega)

Citizen Science boomt weltweit. Eine der derzeit großen Fragen besteht darin, ob die erzielten Daten den fachlichen Forschungsstandards entsprechen. Das vom Museum für Naturkunde Berlin (MfN) initiierte Citizen-Science-Projekt ‘Forschungsfall Nachtigall’ untersuchte europaweit das Vorkommen und den Gesang der Nachtigall. Es rief dazu auf, Nachtigallen mit der App ‘Naturblick’ aufzunehmen und mit dem Projekt zu teilen. In den Jahren 2018 und 2019 nahmen über 3.000 Bürgerforschende mehr als 8.000 Stunden Nachtigallgesang auf. Nun wurden Erkenntnisse zur Qualität der Daten des Projektes publiziert mit dem Ergebnis: Es gibt viele Möglichkeiten und manche Herausforderungen.

Beim Erstellen von Habitatmodellen für die Nachtigall in Berlin schnitten die opportunistisch gesammelten Daten des ‘Forschungsfall Nachtigall’ im Vergleich zu mehr standardisierten Citien-Science-Datensätzen schlechter ab, zeigte eine gemeinsame Studie des Leibniz-Institutes für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) und MfN. Die Daten des ‘Forschungsfall Nachtigall’ überschätzten die Nachtigallenverbreitung in der Stadtmitte Berlins weitgehend, während die Gebiete mit höherer Habitatqualität für diese Vogelart am Stadtrand fehlten. Aimara Planillo, Erstautorin der Publikation und Wissenschaftlerin am IZW erläutert: “Eine Erkenntnis unserer Studie ist, dass die Modelle für die Daten aus dem ‘Forschungsfall Nachtigall’ eher das Verhalten und das Vorkommen der Citizen Scientists in Berlin widerspiegeln als die tatsächliche Verbreitung der Vögel. Die Habitatmodelle könnten durch Anpassungen in der Datenaufnahme - beispielsweise durch das Melden, dass keine Nachtigall in der Umgebung gehört wurde - deutlich verbessert werden.”

In einer zweiten Studie wurde von Wissenschaftler*innen des MfN gemeinsam mit der tatkräftigen Unterstützung eines ehrenamtlichen Mitforschenden im Projekt - Ulrich Brockmeyer - untersucht, ob die durch Citizen Scientists mit der Smartphone-App erzeugten Gesangsaufnahmen qualitativ für die Gesangsforschung geeignet sind. Für diesen Zweck wurden die Smartphoneaufnahmen der Bürgerforschenden mit Aufnahmen von Wissenschaftler:innen mit professionellem Equipment verglichen. Die Ergebnisse zeigten, dass ein großer Anteil der Citizen-Science-Daten von ausreichender Qualität für die Untersuchung weiterer bioakustischer Forschungsfragen geeignet ist. Der Gesang war in den Citizen-Science-Aufnahmen zwar im Schnitt etwas schlechter visuell im Computerprogramm zu erkennen, aber dennoch gut genug, um weitere Forschungsfragen des Projektes, zum Beispiel zur Frage der Dialekte bei der Nachtigall, zu untersuchen. Es gab jedoch deutliche Unterschiede bei der genauen Vermessung der Feinstruktur der Gesänge. Dabei zeigte sich, dass Unterschiede zwischen Aufnahmen der Citizen Scientists und den Wissenschaftler*innen hauptsächlich durch die technischen Unterschiede der Aufnahmegeräte verursacht wurden: Je neuer ein Smartphone und damit aktueller sowie hochwertiger die Technik des eingebauten Mikrofons war, desto vergleichbarer war seine Aufnahmequalität zu professionellem Equipment. "Wir können mit unserer Studie das noch nicht ausgeschöpfte Potenzial von Citizen Science durch die beispielsweise große Menge an Daten für die bioakustische Forschung aufzeigen, aber auch die Limitierungen durch technische Gegebenheiten genauer beschreiben", erklärt Denise Jäckel, Erstautorin der Studie und Doktorandin am MfN, die Ergebnisse der Studie. Silke Voigt-Heucke, die am MfN derzeit ein Kompetenzzentrum für Citizen Science aufbaut, ergänzt: “Wir wollen mit unserer Forschung am MfN zeigen, dass Citizen Science Menschen für Wissenschaft begeistern kann und gleichzeitig für unterschiedliche Forschungsfragen relevante Daten bereitstellt. Unser übergeordnetes Ziel ist es, besser zu verstehen, wie wir bestmöglich diese Vorteile verbinden.”

 

Das Projekt “Forschungsfall Nachtigall” wurde im Rahmen des Förderbereichs Bürgerforschung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für zwei Jahre gefördert, um die Zusammenarbeit von Bürgern und Wissenschaftlern inhaltlich und methodisch voranzubringen.

Weitere Informationen:

https://www.bmbf.de/de/mitmachen-und-forschen-4503.html

https://www.buergerschaffenwissen.de/projekt/forschungsfall-nachtigall

 

Publikationen:

Planillo, A., Fiechter, L., Sturm, U., Voigt-Heucke, S., & Kramer-Schadt, S. (2021). Citizen science data for urban planning: Comparing different sampling schemes for modelling urban bird distribution. Landscape and Urban Planning, 211, 104098. https://doi.org/10.1016/j.landurbplan.2021.104098



Jäckel, D., Mortega, K.G., Sturm, U., Brockmeyer, U., Khorramshahi, O., Voigt-Heucke, S.L. (2021) Opportunities and limitations: A comparative analysis of citizen science and expert recordings for bioacoustic research. PLoS ONE 16(6): e0253763. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0253763

Nicola Moczek

Nicola führt eine Studie zu Citizen-Science-Projekten in Deutschland durch. In diesem Rahmen erarbeitet sie Kriterien zur Sicherstellung der wissenschaftlichen Qualität der Projekte und ist außerdem für die wissenschaftliche Beratung der Citizen-Science-Projekte zuständig. (Foto: © Hwa Ja Götz)