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Nachgeforscht bei Benjamin Nölting von "Logbuch der Veränderungen"

Foto: Bettina König / HNEE

Das Projekt "Logbuch der Veränderungen" lädt Bürger*innen dazu ein, ihre Beobachtungen während der Corona-Krise für die Nachhaltigkeitsforschung festzuhalten. Wir haben mit Benjamin Nölting von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) über die Entstehung des Projektes und die ersten Einträge gesprochen.

Worum geht es in Ihrem Projekt "Logbuch der Veränderungen"?

Aktuell erleben wir in der Corona-Krise sehr weitreichende Veränderungen, welche die Lebensumstände sehr vieler Menschen stark verändern. Es ist bemerkenswert, dass sich ein gesellschaftlicher Wandel in so kurzer Zeit und so umfassend vollzieht. Plötzlich sind Veränderungen möglich geworden, auch wenn sie natürlich erzwungen und in einer Ausnahmesituation entstanden sind. Wir fragen uns nun, was man daraus lernen kann. Dafür laden wir Bürger*innen ein, ihre Beobachtungen des Wandels in der Corona-Krise in einem Logbuch festzuhalten. Wir möchten herausfinden: Was beobachten die Menschen um sich herum? Welche gesellschaftlichen Veränderungen sehen Sie? Das sollen sie möglichst neutral beschreiben. Deswegen haben wir uns bewusst für ein Logbuch und gegen ein Tagebuch entschieden, das auch sehr persönliche und emotionale Berichte enthalten kann. Im nächsten Schritt laden wir die Teilnehmer*innen dann ein, ihre Beobachtungen zu bewerten.

Wie funktioniert das Logbuch konkret?

Einträge in das Logbuch kann man einfach mit dem Smartphone oder dem Computer auf der Homepage durchführen. Dafür muss man sich nicht registrieren oder anmelden. Wir unterscheiden sechs Felder, denen man die Beobachtungen zuordnen kann: Mobilität, Einkaufen/Versorgung, Familie/Freizeit, Arbeit, Fürsorge/Betreuung und Information/Kommunikation. Man berichtet, ob die Veränderungen bei sich, bei anderen Personen aus dem Umfeld oder auf gesellschaftlicher Ebene beobachtet wurden. Dann kann man die eigenen Beobachtungen bewerten. Beim ersten Eintrag fragen wir zum Schluss noch ganz wenige soziodemographischen Daten ab: Alter, Geschlecht und Tätigkeit. Wer möchte, kann die eigenen Kommentare noch herunterladen, als PDF abspeichern und ausdrucken. Mit nur wenigen Schritten hat man so seinen ersten Logbuch-Eintrag erstellt.

Sie forschen an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung (HNE) in Eberswalde. Wie fügt sich Ihr Projekt in das Prinzip Nachhaltigkeit ein?

Die Corona-Krise ist für die Nachhaltigkeitsforschung aus folgendem Grund interessant. Wir denken, dass wir aus der Corona-Krise und den Veränderungen, die damit zusammenhängen, ganz viel über gesellschaftlichen Wandel lernen können. Wir sagen nicht, dass Corona gut oder schlecht für eine nachhaltige Entwicklung ist. Wir wollen wissen, wie der Wandel funktioniert, wo er auf Hemmnisse stößt, und mehr über gesellschaftliche Prioritätensetzung erfahren. Ein Beispiel dafür ist die Finanzkrise von 2008. Damals waren die Banken plötzlich systemrelevant und mussten unter allen Umständen gerettet werden. In der Corona-Krise werden dagegen Kranken- und Altenpfleger*innen, Kassierer*innen und Beschäftigte im Gesundheitswesen als systemrelevant erkannt. Ich finde das ist einen bemerkenswerten Wandel in der Prioritätensetzung. Nun wäre es interessant herauszufinden: Wie wollen wir unsere Gesellschaft beim Neustart gestalten? Wollen wir zum vorherigen Status zurück oder soll sich etwas verändern?

„Die Neugier steht immer an erster Stelle eines Problems, das gelöst werden will“, weiß Galileo Galilei. Und darüber hinaus? – Braucht man wichtige Eigenschaften, um bei dem Projekt mitzumachen?

Es gibt eigentlich keine besonderen Anforderungen. Lässt man sich auf das Logbuch ein, kann man möglicherweise eher etwas mitnehmen. Ich glaube, dass man mit der Teilnahme ein bisschen die eigene Wahrnehmung von gesellschaftlichen Prozessen schärfen kann. Das bedeutet, häufiger auf bestimmte Dinge zu achten: Was passiert um mich herum? Wie werden bestimmte Themen in den Medien verhandelt? Was ist für mich bemerkenswert? Wir versuchen zudem die Teilnehmer*innen dabei zu unterstützen, zwischen Beobachtung und Analyse zu trennen.

Wie sind Sie auf die Idee für das Projekt gekommen?

Die Idee hat sich in Zusammenarbeit mit Studierenden an der HNE Eberswalde entwickelt, zu Beginn der Corona-Zeit. Die Absage von Kursen und Vorlesungen konnten wir uns damals noch gar nicht vorstellen. Drei Tage später war es aber soweit und wir haben gemerkt: Jetzt gerade passiert hier ganz viel Wandel, das müsste man doch beobachten und festhalten. Die Studierenden fanden diesen Gedanken total spannend und wir haben überlegt, dass man diese Veränderungen in einem Tagebuch festhalten sollte. Diese Idee haben wir dann am Forschungszentrum [Nachhaltigkeit : Transformation : Transfer] zu viert – zusammen mit Wibke Crewett, Uwe Demele und Bettina König – weiterentwickelt. Wir haben ein Befragungskonzept abgeleitet, uns ein Untersuchungsdesign überlegt und die Homepage auf den Weg gebracht.

Konnten Sie schon einen Blick auf Logbuch-Einträge werfen? Sind bestimmte Momente oder Einträge besonders häufig zu beobachten?

Vor wenigen Tagen hatten wir über 500 Logbuch-Einträge, verteilt auf verschiedene Kategorien. Davon haben wir uns schon ein paar Einträge angesehen – bisher aber nur stichprobenartig, wir stehen noch ganz am Anfang. Ich habe mir überwiegend Beiträge zur Mobilität angeguckt und war wirklich sehr beeindruckt, wie vielfältig, differenziert und ausgewogen die Beobachtungen und Einträge sind. Während manche Veränderungen als sehr unangenehm empfunden werden, sehen andere Leute auch Vorteile. Das heißt, wir haben bereits ein wichtiges Ziel erreicht und zwar Beobachtungen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven einzusammeln. Nun bin ich gespannt, wie diese Veränderungen von den Teilnehmenden wahrgenommen und bewertet werden.

Sie stehen noch am Anfang ihres Projekts. Gab es trotzdem bereits Hindernisse, Enttäuschungen oder Dinge, die Sie beim nächsten Mal anders machen würden?

Wir wollten das Projekt ganz schnell auf den Weg bringen und hatten nicht viel Geld zur Verfügung. Wir konnten die Homepage deswegen nicht so schön und interaktiv gestalten, wie wir uns das erhofft hatten. Der zweite Punkt ist: Wir finden, dass der Faktor Citizen Science und Partizipation in unserem Projekt noch ausbaufähiger ist. Da sind wir sehr selbstkritisch und noch nicht dort angelangt, wo wir hinwollen. Es wäre zum Beispiel total spannend, sich mit den Logbuch-Schreiber*innen auch über Online-Formate und in kleinen Workshops auszutauschen.

Was war bisher der größte Erfolg des gemeinsamen Forschens?

In einigen Punkten sind unsere Erwartungen jetzt schon übertroffen wurden. Erstens: Nach vier bis fünf Wochen zählen wir über 500 Logbucheinträge von weit über 300 Teilnehmer*innen. Das Thema bewegt viele Menschen und wir haben Glück, dass so viele bereit sind, sich einzubringen. Zweitens: Ich finde, dass die gesellschaftliche Debatte über Corona sehr differenziert geführt wird. Es geht nicht nur darum, wie schrecklich die Situation ist. Stattdessen überlegen sich viele: Können wir Dinge danach anders machen? Ich höre viele kritische Stimmen, die sagen, dass sie nicht um jeden Preis zur vorherigen Situation zurückkehren wollen. Ich denke, dazu kann unser Logbuch-Projekt einen wichtigen Beitrag leisten. Zu guter Letzt haben wir uns sehr über eine Anfrage des Biosphärenreservats Rhön gefreut. Dort ist man sehr an unseren Fragen interessiert und will sich zusammen mit uns überlegen, wie man in der Region nach der Krise weitermachen könnte. Um das zu diskutieren, planen wir eine gemeinsame Online-Veranstaltung, zusammen mit den Akteur*innen und Bürger*innen aus der Region. Dort wollen wir dann erste Ergebnisse vorstellen und gemeinsam überlegen, wie es in der Region nach Corona weitergehen kann.

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Yannick Brenz

Der Biologe ist seit Februar 2019 Volontär bei Wissenschaft im Dialog. Dort unterstützt er unter anderem das Projekt Bürger schaffen Wissen.